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Geld frisst Kunst + Kunst frisst Geld

 

27.4.2015 - REZENSION – 5.1.15 - Auf fast 500 Seiten haben die beiden Autoren Markus Metz und Georg Seeßlen (M&S) ihre Kunstmarkt-Analyse ausgebreitet, unterbrochen durch eine Bilderspur von Ute Richter. M&S produzieren in ihrem „Pamphlet“ durchwegs - bei genauer Prüfung wohl ausschließlich - unfalsche Sätze. Aufgelockert durch zahlreiche Fragen, die auch ganz und gar nicht falsch sind. Die Abhandlung spielt alle Trümpfe aus, die ein anspruchsvoller Diskurs liefern kann: Beobachtungen, Thesen, Postulate, Polemiken und Analysen, die in ihrer Breite jedoch an Tiefe vermissen lassen. Und das liegt keineswegs an mangelnder intellektueller Kompetenz von M&S, sondern an deren zum Teil eingeengter zum Teil verallgemeinernden Betrachtungsweise.

 

Gegenstand der Betrachtungen von M&S sind „die“ Kunst, „der“ Kunstmarkt, „die“ Sammler, „die“ Künstler, „die“ Auktion usw. Dabei gehen sie von der Prämisse aus, dass wir es mit einem einheitlichen System zu tun haben, in dem das Spiel der Marktkräfte zur Entfremdung der Künstler von ihren Kunstwerken führt (wenn sie denn in diesen Markt Einlass gefunden haben). Ein System, in dem „der“ Markt längst nicht mehr frei ist sondern massiv manipuliert wird, und dessen finanzkapitalistische Ausprägung das Lumpenproletariat der Kunst am unteren Ende der Szene erzeugt. Das System steht auf den drei Säulen Staat, Markt und Diskurs, wobei nach Ansicht von M&S Staat und Diskurs zugunsten des neoliberalen, postdemokratischen Marktes mehr und mehr zurückgedrängt werden respektive schon großteils zurückgedrängt wurden.

 

„Wir sehen die Kunst in Neoliberalismus und Postdemokratie zugleich im Zustand ihrer größten Freiheit und im Zustand ihrer größten Umklammerung. … Die Kunst kann immer mehr, und die Gesellschaft hat immer weniger davon. In den Händen der ökonomischen und politischen 'Eliten' des Neoliberalismus wird Kunst so zu einem Mittel, 'die Gesellschaft' abzuschaffen.“ (S. 41) Die neomarxistische Position der Autoren, die angesichts der Auswüchse des Finanzkapitalismus durchaus aktuell und legitim ist, neigt dazu, die „bürgerliche Gesellschaft“ nostalgisch zu verklären: hier war die Freiheit der Kunst noch ein anerkannter Wert und die Künstler tragende Säulen des bürgerlichen Individuums, während heute Künstler ihre Produktion den Interessen und Regeln des Kapitals unterzuordnen haben: „Aus dem bürgerlichen Großkünstler (in gediegenem, aber nicht skandalösem Reichtum) wird der Künstler als Manager seines Brandings, der Künstler als Steuerhinterzieher und der Künstler als Spekulant mit sich selbst und aus der Bohème als Nährboden analog das Prekatiat.“ (S 57f).

 

„Das Wesen der Kunst im Neoliberalismus ist ihre ökonomische Aufwertung und ihre soziale Abwertung. Sie ist geworden, was sie nie sein wollte: ein teurer Spaß.“ (S. 72)

 

„Konnte man sich früher etwa durch den Erwerb eines Kunstwerks kulturell in der Klasse einrichten, der man sich ökonomisch zugehörig fühlen durfte, so belohnt sich der Gewinner des Finanzkapitalismus heute durch das Kunstwerk mit der raren Ressource Subjektivität. Eine radikale Subjektivität, die sich der normale Museumsbesucher nicht mehr leisten kann.“ (S. 76)

 

„Nicht nur 'frisst' der absurde Reichtum der oberen 0,1 % die Kunst auf, die keine Chance mehr hat, sich in die Gesellschaft hinein zu entwickeln, sondern umgekehrt 'frisst' die Kunst auch diesen absurden Reichtum, der im Kern nicht wirklich weiß wohin mit sich.“ (S. 84)

 

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Die Kunstmarkt Formel, ISBN ISBN 978-3-7357-7052-3

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Dialektik kratzt nur an der Oberfläche

Die Dialektik der Wechselwirkung, die M&S oft und gerne vorführen, ist nie falsch, dringt aber nie in die Tiefe des Gesamtsystems, besser gesagt aller Systemebenen bzw. aller Ebenen der Kunstmarktpyramide. Insbesondere das letzte Zitat zeigt die Schwäche dieses dialektischen Verfahrens: „der absurde Reichtum der oberen 0,1 %“ vereinnahmt, sprich „frisst“ „die“ Kunst. Welche Kunst? Nennen wir sie beim Namen: Hirst, Koons, Richter und ihresgleichen (um nur jene zu nennen, die in unseren Breiten für dieses Segment von Relevanz sind), die ihre Ware Kunst über Sotheby´s, Christie´s und ein Dutzend galeristischer Imperien global vermarkten. Dass aufgrund eines derart kleinen Teilsegments des Kunstbetriebs „die“ Kunst keine Möglichkeit habe, sich „in die Gesellschaft hinein zu entwickeln“ ist eine Verengung der Perspektive, die die Masse der weltweiten künstlerischen Produktivkräfte ignoriert. Genau so, wie die gesellschaftliche Minderheit der Superreichen nur zur Kenntnis nimmt, was gerade im „Olymp“ der Kunstmarktpyramide angesagt ist. In der Logik des Kapitals hat nur das Wert, was sich in hohen Geldbeträgen kaufen und verkaufen lässt – im Umkehrschluss sind preisgünstige Kunstwerke einfach wertlos bzw für die Welt der Superreichen nicht existent.

 

Im Olymp, da gebe ich den Autoren recht, geht es ausschließlich um Brandings. Doch damit ist „die“ Kunst, damit sind die zahlreichen Wirkungsfelder tausender, ja hunderttausender Künstler nicht hinreichend charakterisiert. M&S haben als durchaus mächtige (im renommierten Suhrkamp Verlag publizierende) Vertreter der Diskursmacht vor der faktischen Macht dieser Finanzelite kapituliert. Und dabei geht es nicht um 0,1% sondern maximal um 0,001%, die in diesem Kreis mitspielen. Schon mit ihrer Schätzung, dass 0,1 Prozent der Gesellschaft (das wären 7 Millionen einer geschätzten Weltbevölkerung von 7 Milliarden) die Hegemonie über „die“ Kunst ausüben, liegt stark daneben. Die superreichen und halbsuperreichen Oligarchen, die im „Olymp“ der Kunstmarktpyramide investieren und diesen manipulieren sind weltweit sicher nicht mehr als 70.000 bzw 0,001 Prozent aller Gesellschaften dieser Welt! Und dass diese 70.000 nicht wüssten, wohin mit ihrem Reichtum, so dass sich Geld und Kunst gegenseitig „auffressen“ ist eine „Erzählung“, die M&S frei erfunden haben.

 

Den Horrorfilm, in dem sich die Superreichen „gegenseitig durch Geldbewertungen in den Ruin zu treiben versuchen (oder einander, gelegentlich, die Beute zutreiben)“ (S. 358), können wir ruhig und entspannt erste Reihe fußfrei anschauen. Es ist ein Theater, das als „Welttheater“ inszeniert und rezipiert wird, weil es in der Logik dieses Systems liegt, laufend „Weltrekordpreise“ zu produzieren, die entsprechendes mediales Echo finden, denn das liegt in der Logik der Medien. Leider würde aber ein Verbot oder eine wie auch immer erzielte Einstellung dieses Spiels im Olymp des Kunstmarktes keine direkte positive Auswirkung auf die Künstler im Prekariat haben, so wenig wie ein Verbot, in den Alpenländern Trinkwasser für die Toilettenspülung zu verwenden, in den Trockengebieten dieses Planeten zu einer Beendigung der Wasserknappheit beitragen könnte.

 

Leider sind M&S vom Spektakel „der oberen“ derartig paralysiert, dass sie in ihrer gesamten Analyse allein dieses Teilsegment als systembildend betrachten. M&S kritisieren ausführlich, und keineswegs falsch, aber eben auch nicht zureichend „den“ Kunstmarkt, denn „die“ Kunst ist weit mehr als ein „teurer Spaß“. Leider nehmen M&S alles außerhalb des Olymp nur als Prekariat wahr und akzeptieren damit genau jene Maßstäbe als maßgeblich, die sie moralisch für verwerflich halten. Es findet sich im „Pamphlet“ vom M&S keine einzige Seite, kein einziger Absatz über die Möglichkeiten, die ein „normaler Museumsbesucher“ hat, nein hätte, wenn er frei wäre von den vorherrschenden Glaubensdoktrinen, sich Kunst außerhalb der Museumswände anzueignen. Nicht nur diskursiv, sondern im wörtlichen Sinne, indem er sich Kunst kauft: um 100, um 1000 oder um 10000 Euro. Das ist an jedem Ort dieser Welt bzw der zahlreichen Kunstwelten möglich – wird aber von M&S nicht ein einziges Mal in Betracht gezogen, weil sie die Bedeutung des Geldwertes mancher (de facto sehr, sehr weniger) Kunstwerke gesamtgesellschaftlich gewaltig überschätzen.

 

Preis und Wert

Dass die Preise mancher (klar eingegrenzter) Künstler in astronomische Höhen steigen erklären M&S vorwiegend mit der Gier einiger weniger: „Der ökonomische Wert eines Kunstwerkes ist mithin ein Versuch der Quantifizierung von Begehren und Unterwerfung, also von Glauben. Und der Kauf eines Kunstwerkes ist der (scheinbar) gelungene Akt einer privaten Aneignung sowohl sexueller als auch religiöser Energie und damit die radikalste und zugleich 'erhabenste' Form der Ökonomisierung von Subjektivität, Seele und Spiritualität.“ (S. 25 f) Im angeblich Exklusiven sehen M&S offenbar eine erotische (sexuelle) Aufladung, die sie als Gefangene ihrer Diskurs-Grammatik nicht imstande sind zu entmystifizieren. Ganz im Gegenteil: selten hat ein kritischer Diskurs so stark zur Mystifizierung eines Phänomens beigetragen, das in Wahrheit ein Teilsegment des Finanzmarktes ist und nur am Rande „die“ Kunst tangiert. Anders gesagt: als Teilsegment des Finanzmarktes unterliegen Kunstkäufe im „Millionenzirkus des erhitzten Kunstmarktes“ (S. 393) nicht der Logik der Kunstmärkte, sondern der Logik der Finanzmärkte.

 

„Der Preis der Kunst ist ein Maßstab für soziale Ungerechtigkeit.“ (S. 85)

 

„... das Kunstwerk als Antiware oder als Mehr-als-Ware gehört zu jenen, von denen Marx sagt, dass hier nicht die Ware den Preis bestimmt, sondern der Preis die Ware. Die Ware (Antiware) ist nur so viel wert, wie ihr Preis ausdrückt. (Der Preis drückt nicht den Wert aus, der Preis ist der Wert.)“ (S. 395)

 

„Die Kunstauktionen der Gegenwart sind in weiten Teilen Karikaturen des kriminellen Spiels des Finanzkapitalismus.“ (S 388)

 

Das letzte Zitat zeigt sehr gut, dass kritisch intendierte, aber allgemein gehaltene, wie immer unfalsche Behauptungen nicht immer bis zum Kern der Wahrheit vordringen. Dazu fehlt ihnen einfach die Spitze. Die Wahrheit ist konkret: Die Auktionen von Sotheby´s und Christie´s sind keine Karikaturen, sondern Teil des immer noch erlaubten (immer noch nicht verbotenen und deshalb derzeit auch nicht kriminellen) globalen Spiels des Finanzkapitalismus. So gesehen greift auch die Kritik des Preises als „Maßstab für soziale Ungerechtigkeit“ zu kurz. Denn einerseits gibt in der Kunst auch (selten aber doch) sozial gerechte Preise, während es anderseits auch in allen anderen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen asoziale, ungerechte Formen der Preisbildung gibt.

 

Die – wenn auch kritisch gemeinte – Gleichung „Preis ist Wert“ kann wohl als oberste Glaubensdoktrin im Olymp des Kunstmarktes bezeichnet werden. Allerdings nur hier. Einer kritischen Analyse hält diese Gleichung nicht stand, sie ist aber bestens geeignet zur fortgesetzten Mystifizierung des Olymps in seiner Gleichsetzung mit „dem“ Kunstmarkt beizutragen. Dagegen zertrümmert die „Kunstmarkt-Formel“ diese suggestive Gleichsetzung und ermöglicht mit der Kunstmarkt-Pyramide ein besseres Verständnis der Kunst-Märkte anstelle „des“ Kunstmarktes.

 

Die Forderung „Der Kunst-Diskurs darf nicht länger Handlanger, auch nicht 'nützlicher Idiot' des Kunstmarktes … sein“ (s. 471), haben M&S mit ihrem eigenen Buch leider nicht eingelöst. In ihrem pathetisch vorgetragenen „Manifest zur Rettung von Kunst“ schreiben die Autoren: „Die Kritik am Betrieb der Kunst in Postdemokratie und Neoliberalismus beginnt mit einer Kritik an der Sprache und am Sprechen darüber.“ (S. 477) Mit etwas mehr Selbstkritik und Distanz zu ihren ausufernden unfalschen Sätzen hätten die Autoren ihren eigenen Traum „von einer freundschaftlichen, solidarischen und gerechten Beziehung zwischen den Kunst-Produzenten und ihren Adressaten“ verwirklichen können. Niemand hätte sie daran gehindert, die Hälfte ihres auf ein winziges Teilsegement „des“ Kunstmarktes fokussierten Diskures zu streichen um ihr Spotlight statt dessen auf jene zu richten, die heute schon versuchen diesen Traum zu verwirklichen.

 

Markus Metz / Georg Seeßlen

Geld frisst Kunst

Kunst frisst Geld

Ein Pamphlet

Suhrkamp 2014

ISBN 978 3 518 12675 2

 

Weitere Infos über die Autoren:

Georg Seeßlen

Markus Metz

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