Eine vernichtende Diagnose gibt der Immendorff- und Beuys-Biograf Hans Peter Riegel in einem aktuellen Artikel der Berliner Morgenpost (Ausgabe 29.10.2014): „Die Kunstszene wird von einer fast perversen Wechselwirkung aus Abscheu und Anziehung durchtrieben. Auf der einen Seite feinsinniges Gehabe, während hinter den Kulissen ruppiger Darwinismus herrscht. Jeder gegen jeden, denn Kunst ist ein attraktives Genre, das heutzutage die Chance bietet, schneller denn je reich und berühmt zu werden – ob als Künstler oder Galerist.“
Abgesehen von den rohen Sitten kritisiert der Autor die Usancen der zwölf „Mega-Galeristen“ und der beiden führenden Auktionshäser, die „rund drei Viertel des globalen Umsatzes mit Gegenwartskunst im Hochpreis-Segment unter sich“ aufteilen, denen Riegel „kartellähnliche Strategien, … Preisabsprachen und manipulierte Auktionen“ vorhält. „Es ist der über allem herrschende Gagosian-Olymp, ein von Geld genährtes Soziotop, das diese Hegemonie prägt und dessen Gesetzmäßigkeiten bis in die tiefsten Verästelungen der Kunst-Welt hineinwirken.“
Das Buch DIE KUNSTMARKT-FORMEL betrachtet „DEN“ Kunstmarkt etwas differenzierter, denn das, was im „Olymp“ der Kunstwelt passiert, hat mit dem breiten Mittelfeld und der Basis des Kunstmarktes wenig, genau genommen gar nichts zu tun. Daraus folgt die
Kunstmarkt-Formel I: Es gibt keinen einheitlichen Kunstmarkt, sondern viele Kunstmärkte, und die Durchlässigkeit zwischen den Märkten ist äußerst gering. Sowohl horizontal als auch vertikal.
Je bekannter ein Künstler um so höher die Wahrscheinlichkeit, dass gefälschte Werke in Umlauf sind: „An der Spitze krimineller Alltäglichkeit finden sich Fälschungen. Experten gehen davon aus, dass mindestens die Hälfte der je verkauften Werke von klassischer Moderne, Surrealismus und Pop-Art gefälscht ist. Die Warhol-Stiftung musste ihre Arbeit einstellen, weil es ihr unmöglich wurde, gegen die Flut von Falsifikaten Prozesse zu führen.“
Im Buch Buch DIE KUNSTMARKT-FORMEL findet sich dazu eine Entsprechung aus Perspektive der Künstler: „Auf der dritten Ebene bilden kommerzielle Galerien die wichtigste Zäsur. Viele Künstler empfinden diese Zäsur als Zensur. Künstler müssen eine gute Vorstellungskraft haben, um Ideen zu visualisieren. Die Kraft, sich bei einer Galerie vorzustellen, haben aber die wenigsten, oder sie verlieren diese nach wenigen Vorstellungsgesprächen. Nach frustrierenden Abweisungen von Galeristen greifen manche Künstler zu radikalen Maßnahmen. Wenn der Markt nicht annimmt, was sie zu bieten haben, dann können sie auch liefern, was der Markt will. Das ist die Geburtsstunde des Fälschers.“
Auch die Medien kriegen – zu Recht – von Riegel ihr Fett ab: „Mehr und mehr begnügt sich die stimmgewaltige Rede über Kunst mit Kommentaren zum Spielverlauf, die aus Recherche und Unterstellung gemixt über den Grundverdacht, über das pauschale Unbehagen an den Kunstdingen, wie sie sich zeigen oder auch nicht zeigen, nicht hinauskommen.“ Tatsächlich sind Kunstkritiker, die über die Kunst an sich schreiben, und nicht nur über die aufgehitzte Stimmung rund um „Weltrekordpreise“ kaum noch zu finden.
Details siehe: Hubert Thurnhofer
Die Kunstmarkt-Formel
ISBN 978-3-7357-7052-3
Print: 19,90 Euro, E-book: 10,99 Euro