31.10.2016 - Die schlechte Nachricht zuerst: einer von vier Carsharing-Anbietern hat sich zu Jahresbeginn aus Wien zurückgezogen. Die gute Nachricht: seit Juni ist ein neuer Anbieter in Österreich und damit auch ein neues Geschäftsmodell. Einblicke und Ausblicke im Unternehmermagazin a3 ECO 11/2016
Flinkster konnte seine 32 Stellplätze mit 55 Autos und rund 1.000 Kunden nicht rentabel betreiben und hat deshalb den Betrieb in Wien eingestellt. Auf seinem Heimmarkt ist das Tochterunternehmen der Deutschen Bahn allerdings unangefochten Marktführer mit rund 300.000 registrierten Kunden und 3.300 Fahrzeugen in insgesamt 200 Städten. In Deutschland profitiert Flinkster von seinen Stationen und dem Parkraum rund um alle wichtigen Bahnhöfe und bietet außerdem einen Mehrwert für Bahncard-Kunden, die sich die Anmeldegebühr von 50 Euro sparen.
Mit dem gleichen Geschäftsmodell – feste Standorte und verschiedene Fahrzeuge für unterschiedliche Bedürfnisse – hat Zipcar mehr Erfolg. Allein ein Wien betreibt das Unternehmen über 80 Standorte mit 130 Fahrzeugen und 7.000 Nutzern. Außer in Eisenstadt und Klagenfurt ist Zipcar in allen Landeshauptstädten vertreten. Denzel war in Österreich mit Denzeldrive Carsharing-Pionier. Der Autohändler hat aber bald an Zipcar verkauft und Zipcar wurde Anfang 2013 vom größten US-Autovermieter Avis überommen.
Weltweit betrachtet ist Carsharing mit festen Stationen zu einem Geschäftszweig der großen Autovermieter geworden. Nur Deutschland ist „stark fragmentiert, umfasst mehr als 130 traditionelle Carsharing-Unternehmen, wovon ca. 84 kleinere Unternehmen darstellen“, hält Frost & Sullivan in einer Marktstudie fest. Demnach haben hier viele kleine Anbieter ihr Geschäft zunächst in Form einer Partnerschaft aufgebaut. „Öffentlich-private Partnerschaften und die Verfügbarkeit von Fördermitteln zum Parken haben zudem dazu beigetragen, dass der deutsche Markt stark fragmentiert ist.“
Mehr Drive entwickeln offenbar free-flaoting Carsharing-Modelle wie Car2go und DriveNow. Carsharing funktioniert bei diesen Modellen spontan und flexibel, denn das Auto muss nicht an festen Stationen abgeholt und zu ihnen zurückgebracht werden, sondern kann in einem Geschäftsgebiet überall angemietet und abgestellt werden. Nachteil: der Nutzer darf das vorgegebene Geschäftsgebiet nicht verlassen.
Car2go zählt in Wien 100.000 Mitglieder. Die Daimler-Tochter hatte in der Bundeshauptstadt schon mal 800 Smart im Einsatz, derzeit etwa 700. Auf Überholspur ist dagegen DriveNow, das erst vor zwei Jahren in Wien an den Start gegangen ist und nun von 400 auf 500 Fahrzeuge aufstocken will, davon immerhin 20 Elektrofahrzeuge. Das Joint-Venture von BMW und Sixt zählt rund um die Ringstrasse bereits 50.000 Kunden. Insgesamt wird DriveNow von rund 700.000 Kunden in zehn Städten Europas, die Zugriff auf über 4.700 Fahrzeuge haben, genutzt. Car2go zählt dagegen in 31 Städten in Europa und Amerika rund 1,9 Millionen registrierte Nutzer.
Car2go zählt gute Argumente auf, die für Carsharing sprechen:: „Einen Großteil des Tages steht ein Auto im Durchschnitt auf privaten oder öffentlichen Plätzen, während sein Besitzer bei der Arbeit ist, schläft oder anderen Aktivitäten nachgeht. Monatliche Fixkosten für Versicherung, Sprit, Parkgebühren, Steuern und Wartung können gespart werden. Vor allem im urbanen Umfeld sind vernetzte Mobilitätskonzepte die Zukunft – inklusive dem Umsteigen vom einen zum anderen Verkehrsmittel.“ Doch offenbar rechnen sich diese Vorteile nur in sehr dicht besiedelten Gebieten. So hat Car2go im Vorjahr sein Geschäftsgebiet „optimiert“ und Donaustadt und Floridsdorf vom Stadtplan gestrichen.
Da kann der seit Juni in Österreich aktive Anbieter Drivy in dünner besiedelten Stadtgebieten und sogar im ländlichen Raum Abhilfe schaffen. Drivy ist nach eigenen Angaben der größte Marktplatz für private Autovermietung in Europa und bislang in Frankreich, Deutschland und Spanien tätig. Mit frischem Kapital von 31 Millionen Euro will das 2010 gegründete Unternehmen nun seine weitere Expansion finanzieren.
Die Plattform Drivy.at bietet Nutzern die Möglichkeit, Autos von nebenan flexibel zu mieten. Autobesitzer können ihren Wagen über die Plattform vermieten, wenn sie ihn selbst nicht benötigen. Ort und Zeitpunkt der Schlüsselübergabe vereinbaren Mieter und Vermieter untereinander. Der Autobesitzer legt individuell den Preis und die Verfügbarkeit des Autos fest. Während der Mietdauer gilt eine eigens entwickelte Ad-hoc-Versicherung in Zusammenarbeit mit der Allianz, diese ist bereits im Mietpreis enthalten. Sie beinhaltet eine Vollkasko- und Haftpflichtversicherung sowie einen Schutzbrief.
Drivy hat damit das Potenzial das Airbnb der Autobesitzer zu werden. Die Nutzungsbedingungen von Drivy legen fest, dass die Kunden über 28 Jahre sein müssen und mindestens seit drei Jahren einen Führerschein haben. Der Fahrzeugbesitzer kann Mietdauer, maximale Distanz und den Preis festlegen. Drivy Manager Heiko Barnerßoi sieht großes Potenzial: „Schon heute leben 41 Prozent der Haushalte in Wien ohne eigenes Auto – die restlichen stehen im Schnitt 23 Stunden am Tag ungenutzt herum. Das sind Ressourcen, die wir besser ausschöpfen müssen.”
Auch in ländlichen Gebieten stehen Autos mehr als sie fahren, auch wenn das eigene Auto hier noch für die meisten Menschen ein Muss ist. Carsharing findet sich am Land nur selten in Form von Fahrgemeinschaften. Portale für Mitfahrgelegenheiten vermitteln Kontakte für Einzelfahrten und längere Strecken. Doch meist sitzt nur eine Person im Auto auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause. Und wenn der Ehepartner in einem anderen Ort arbeitet, muss ein Zweitwagen angeschafft werden. So stehen dann zwei Autos jeden Tag acht Stunden ungenutzt auf der Straße oder auf einem Firmenparkplatz, bis der Lenker seinen Heimweg antritt. Via Drivy könnten solche Autos tagsüber angeboten und effizient genutzt werden.
Resümee
Car2go mit 700 Autos in Wien, DriveNow 500, Zipcar 130 und optimistisch geschätzt 670 privat geteilte Autos – das sind 2.000 Sharing Cars in einer Stadt mit bald 2 Millionen Einwohnern. Oder gerade mal 0,3 Prozent von insgesamt 683.000 Pkw in Wien. Davon sind 80.000 Zweitwagen, die durchschnittlich nicht mehr als 7.400 Kilometer pro Jahr zurück legen. Diese ernüchternden Zahlen geben keinen Anlass zum Optimismus für eine leuchtende Zukunft von Carsharing, zumal die Anzahl der Pkw in den letzten zehn Jahren um 4,2 Prozent gestiegen ist. Aber diese Zahlen vermitteln auch einen Eindruck davon, welches Potenzial noch in Carsharing steckt.
Meine persönliche Auto-Biografie ist relativ schnell erzählt. Mein erstes Auto kaufte ich 1994 – einen gebrauchten Espace. 2001 leistete ich mir einen weniger gebrauchten Voyager, den ich 2012 um 400 Euro verkaufte, wobei noch Sprit im Wert von 50 Euro im Tank war. Seither lebe ich frei und flexibel, sicher und günstig mit Carsharing. Nun hab ich immer gut gewartete, wahlweise kleine und größere Autos zur Verfügung und bei Bedarf einen Lieferwagen. Um Versicherung, Reparaturen, Services, Pickerl und Parkplatz brauch ich mich nicht zu kümmern. Dazu hab ich noch das Glück, dass sich eine Carsharing-Station in der gleichen Straße befindet in der ich wohne und zwei Stationen mit Kastenwägen in kurzen Entfernungen zur Galerie.
Wenn ich für die Fahrt auf eine Kunstmesse mal eine längere Strecke und eine Woche lang unterwegs bin, so kann schon ein größerer Betrag fällig werden. Aber dafür hab ich auch immer die volle Kostenwahrheit und komme nicht in Versuchung mir die Fahrtspesen klein zu rechnen. Man neigt ja beim Auto zum Selbstbetrug, weil es nicht nur eine bestimmte Funktion hat, sondern auch für Freiheit (wenigstens Bewegungsfreiheit) und Prestige (zumindest bei manchen Marken) steht. Carsharing führt somit zum bewussteren Umgang mit Mobilität. Man muss längerfristig planen und man bekommt monatlich die Rechnung für die vollen Kosten. Und die sind allemal günstiger als bei einem eigenen Auto. |
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Ergänzung 24.10.217: "Nachdem sich der US-Anbieter ZipCar aus Österreich zurückgezogen hat, blieben einige Parkplätze leer. Nun folgt "Stadtauto" als neuer Car-Sharing-Anbieter", berichtet BZ / meinbezirk.at Laut Bericht startet Stadtauto am 6. November 2017.
Ergänzung 6.1.2018: Laut KPMG-Studie liegt die Zukunft der Mobilität in der Mobilistik / Mobi-Listik - demnach verliert das Auto als Prestigeobjekt an Bedeutung, "Mobilität wird sich laut der Studie in den kommenden Jahren und Jahrzehnten grundlegend verändern. Durch autonomes Fahren, Sharing-Modelle und plattformbasierte Lieferdienste wird es zu einer Verschmelzung von Mobilität und Logistik kommen", berichtet ORF.at