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11.10.2016 - Die 4. Industrielle Revolution produziert nicht nur selbstlernende Roboter und komplett autonome Fabriken, sondern auch Heere von Arbeitslosen. Diese Aussagen erinnern stark an die Anfangszeit der Computerisierung vor 30 Jahren. Was dahinter steckt ...  (Artikel ist erschienen in der Rubrik WIRTSCHAFTSETHIK der Unternehmerzeitschrift a3 ECO 10/2016)


„Etwa drei Jahre nach dem Aufkommen des Konzeptes Industrie 4.0 hat sich ein wahrer Hype im produzierenden Gewerbe ausgebreitet. Kaum eine Konferenz, Think Tank oder Messe kann sich der Gravitationskraft des Versprechens einer neuen industriellen Revolution entziehen.“ Diese Zeilen stammen von Capgemini. Das Consultingunternehmen rechnet sich wohl zu den Think Tanks dieses Themas und rät (bis hierher noch kostenfrei): „In Anbetracht der bevorstehenden industriellen Revolution müssen Unternehmen des produzierenden Gewerbes die Entwicklung einer umfassenden Vision für ihre zukünftigen geschäftlichen Tätigkeiten anstoßen.“

zdrahal Industrie 4.0 250

Wer jetzt nicht aufspringt auf den führerlosen aber bereits mit Höchstgeschwindigkeit fahrenden Transrapid, der muss Angst haben, morgen in der letzten Dampflokomotive auf der Strecke zu bleiben. Dem will das BMVIT vorbeugen. In dem Inserat „Impulse für Innovationen“ erklärt uns das Ministerium, dass es die Entwicklung und Markteinführung neuer Technologien in diesem Jahr mit 428 Millionen Euro fördert, und was es mit Industrie 4.0 auf sich hat:

„Wenn ein Auto weiß, mit welchen Extras es bestellt wurde, und sich so zu einem gewissen Grad selbst zusammenbaut, dann ist das Industrie 4.0. Wenn eine holzverarbeitende Maschine Holz bestellt, ohne dass der Mensch eingreifen muss, dann ist das Industrie 4.0.“ Es besteht die Hoffnung, dass der Level in den Forschungsabteilungen der geförderten Industriebetriebe höher ist als das Niveau in der Propaganda-Abteilung unseres Technologie-Ministeriums.

Illustration: Ernst Zdrahal  

 

Von der „Gravitationskraft des Versprechens einer neuen industriellen Revolution“ zurück auf den Boden der Realität. Drei Themenblöcke prägen die Diskussion: Variantenvielfalt, Künstliche Intelligenz und Arbeitsplatz(verlust).

 

Variantenvielfalt

Die Zeiten, in denen Unternehmen für ihre Produkte die Entscheidung zwischen Klasse oder Masse treffen mussten, sind vorbei. Durch Mass Customization hat ein Paradigmenwechsel statt gefunden. Früher waren maßgeschneiderte und beratungsintensive Produkte logischer Weise teurer als Produkte aus der Massenfertigung. Mit dem Siegeszug der digitalen Kommunikation ist jedoch das Erfassen und Automatisieren der individuellen Kundeninformation in der Produktion möglich geworden.  Klaus Blazek untersucht seit zehn Jahren die Trends und publiziert jährlich den Configurator Database  Report mit zuletzt 1050 Webseiten weltweit, die ihre E-Commerce-Lösungen mit Produkt-Konfiguratoren aufgerüstet haben.

 

Zur Individualisierung kommt die Schnelllebigkeit von Produkten. Mass Customization kann mit Softwarelösungen realisiert werden, die von der Konfiguration eines Produktes über die Bestellung bis zur Steuerung der Maschinen alle Prozesse übernehmen. Industrie 4.0 braucht dem entsprechende Maschinen, die viele unterschiedliche Produkte herstellen können und ebenso für Massen- wie für Einzelfertigung geeignet sind. Konstrukteure brauchen dafür ein hohes Maß an Prozessverständnis. Der Mensch bleibt also weiterhin am Schalthebel. Nicht nur als letzte Instanz einer (fast) voll automatisierten Fabrik, sondern natürlich auch als erste Instanz, die so eine Fabrik plant und errichtet.

 

Künstliche Intelligenz

Der Autor des Buches „Aufstieg der Roboter“, Martin Ford, ist überzeugt, „dass wir im Bereich der Technologie ein Stadium erreicht haben, in dem Maschinen in der Lage sind, kognitive Fähigkeiten zu entwickeln, sie also in begrenztem Umfang anfangen zu denken. Diese fundamental wichtige Eigenschaft war bisher uns Menschen vorbehalten.“ Jaron Larnier meint in seinem Buch „Wem gehört die Zukunft?“, dass der Mensch längst zum Produkt der Superserver und ihrer Algorithmen geworden ist. Und der Zukunftsforscher Sven G. Janszky behauptet: „Im Durchschnitt aller Prognosen ist es das Jahr 2045, ab dem die menschliche Rasse nicht mehr die intelligenteste Spezies auf der Welt ist.“

 

Abgesehen von der zweifelhaften Verwendung des Begriffs „menschliche Rasse“ und der Andeutung, bei künftigen Robotern handle es sich um eine „Spezies“, wollte Janszky wohl sagen: künstliche Intelligenz werde die menschliche Intelligenz spätestens 2045 übertreffen. Die Zukunftsforscher beschwören gerne den Mythos einer Maschine, die zum Menschen wird. Schon lange beherrschen Maschinen handwerkliche Arbeiten besser als Menschen, schon lange rechnen Computer besser als Menschen, und heute kann ein Auto schon alleine einen Parkplatz suchen und einparken. Die künstliche Intelligenz wird sich in rasantem Tempo weiter entwickeln, sie wird durch Vernetzung zahlreiche neue Aufgaben übernehmen können, aber sie wird immer künstlich bleiben. Das Roboter-Kind, das Wissenschafter in Steven Spielbergs Film „AI - Artificial Intelligence“ schon 2001 mit der Fähigkeit zu lieben ausgestattet haben, wird auch 2045 nicht als „Spezies“ diese Erde bereichern.

 

Arbeitsplatzverlust

Ob Industrie 4.0 „zur Massenarbeitslosigkeit führen wird oder nicht, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen“, gibt sich der US-Autor Martin Ford vorsichtig, will aber negativen Auswirkungen vorbeugen: „Ich befürworte daher die Einführung eines garantierten Grundeinkommens.“ Die Befürchtungen über Jobverluste in der Industrie scheinen mir weit überzogen, denn, so Ford, schon heute stehen in den USA 10 Prozent Industrie-Arbeitern 90 Prozent im Dienstleistungssektor gegenüber. Stärker gefährdet sind sicher Niedriglohn-Jobs, wie eine Studie des White House´s Council of Economic Advisers (CEA) prognostiziert. Demnach werden über kurz oder lang alle Jobs, die mit weniger als 20 Dollar pro Stunde bezahlt werden – das sind derzeit 62% aller Jobs in den USA - durch intelligente Maschinen ersetzt.

 

Moralisches Resümee

Industrie 4.0 ist nichts essenziell Neues, sondern eine dynamische Weiterentwicklung bestehender Innovations- und Vernetzungsprozesse in der Industrie, aber auch im täglichen Leben – Schlagwort „Internet der Dinge“. Die Propagandisten von Industrie 4.0 tun allerdings so, als wäre dies der Startschuss für den weltweiten Ausbau des Transrapidnetzes in den nächsten 10 Jahren. Zur Erinnerung: seit 2002 ist das revolutionäre Konzept über eine 30 Kilometer lange Teststrecke in Shanghai nicht hinaus gekommen.

 

Dass Veränderungen in der Industrie, die mit den neuen Möglichkeiten der IT bereits seit 20 Jahren im Gange sind, für ein Grundeinkommen sprechen, ist ein zusätzliches Argument. Dank Industrie 4.0 muss keiner mehr Angst haben, dass niemand mehr die „Dreckarbeit“ erledigt – denn das machen ja dann die Roboter. Aber Industrie 4.0 ist kein zureichendes Argument für das Grundeinkommen.

 

Bereits seit 2009 plädiere ich in unterschiedlichen Publikationen, auch in dieser Rubrik, für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die zwei wichtigsten Gründe dafür sind allerdings der Wandel des Begriffs und der Bedeutung von Arbeit und die Notwendigkeit, den Menschen die Angst vor Veränderungen zu nehmen. „Arbeit“ darf nicht länger auf „Lohnarbeit“ reduziert werden. Als Arbeit und Leistung muss vielmehr jedes Tun und Handeln verstanden werden, das dem Gemeinwohl dient. Ebenso muss die Bereitschaft, Veränderungen zu denken und zu riskieren, weiter gehen, als neue Prozesse im Umfeld von Industrie 4.0 zu forcieren. Wir brauchen heute nämlich tiefer greifende Veränderungen, kurz: eine Welt 4.0. Das bedingungslose Grundeinkommen wäre eine Voraussetzung, die Welt 4.0 ohne „Bauernopfer“, die Revolutionen bisher immer gefordert haben, auf einem humanistischen Fundament zu errichten.

 

Ergänzung 7.12.2016: Elgar Fleisch, Professor für Informatik an der ETH Zürich, sagt im Interview mit derstandard.at über das Internet der Dinge: "Wir wissen aus der Betriebswirtschaftslehre, dass man nur managen kann, was man auch messen kann. Und da man mit diesen Minicomputern sehr feingranuliert messen kann, wird viel Neues möglich. ... Bei diesen Geschäftsmodellen wird jeder Hersteller neue Produkte und Services anbieten, die aus einem physischen und einem digitalen Teil bestehen. – Das Nutzenversprechen ehemals rein physischer Produkte wird erweitert, und zwar um digitale Dienstleistungen. Aus einer LED-Leuchte wird eine Alarmanlage. Aus einem Mobiltelefon ein Diagnosewerkzeug, aus einer Kiste ein Wiederbestellsystem etc. Ich denke, dass es in der Industrie in wenigen Jahren kaum mehr den Verkauf von rein physischen Sachen geben wird

 

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