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9.10.2015 - Das Einkommen hängt von der Arbeit eines Menschen ab. Und von seiner Leistung. Aber was ist Arbeit und was ist Leistung? Diese Fragen sind für das 21. Jahrhundert neu zu beantworten.


„Was war meine Leistung?“ Die Frage von Walter Meischberger, der für den Verkauf der BUWOG gemeinsam mit Peter Hochegger neun Millionen Euro kassierte und später nicht mehr wusste wofür, ist bereits legendär. Dass die beiden Provisionskaiser dieses Sümmchen nicht beim Finanzamt deklariert haben, gehört zur Logik des Systems, denn eine Leistung ist dort zu versteuern, wo sie erbracht wurde. Und da die einzige Leistung der Lobbyisten darin bestand zu kassieren - und das nachweislich auf Zypern - so bestand wohl nach Rechtsauffassung dieser ehrenwerten Herren hierzulande gar keine Steuerpflicht.

 

Gut in Erinnerung ist auch der lapidare Rechnungstitel: „Für erbrachte Leistungen.“ Solche Transaktionen brauchen mindestens zwei Partner: einer der kassiert und der andere, der bereitwillig ohne jeglichen Leistungsnachweis zahlt. Der freie Markt ermöglicht solche Verträge und das Leistungsprinzip regelt die Höhe solcher Provisionen. So lautet ein Märchen, das man noch bis heute den Studierenden vieler Wirtschaftsuniversitäten erzählt. Doch der Fall Meischberger hat den Glauben an dieses Märchen ordentlich erschüttert.

 

Gehälter, Bonuszahlungen und Honorare in Millionenhöhe sind mit Leistung nicht begründbar. Nicht begründbar, und auch nicht länger tragbar ist auch die Tatsache, dass viele Menschen Leistungen erbringen, die nie bezahlt werden. Kinderbetreuung, Jugendarbeit, Altenpflege, freiwillige Feuerwehr, Rettung, aber auch im kreativen Bereich überwiegt die unbezahlte Arbeit. Von 100 Künstlern kann vielleicht einer von seiner Arbeit leben, alle anderen müssen sich Nebenjobs suchen, leben von der Unterstützung der Ehegatten oder Verwandten, oder vegetieren am Existenzminimum.

 

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Illustration: Ernst Zdrahal

 

Der Sozialbericht hält fest, dass 44% der österreichischen Bevölkerung ab 15 Jahren in irgend einer Form Freiwilligenarbeit leisten. Wenn man den Begriff Arbeit noch weiter fasst, kann man sagen: jeder arbeitet, auch wer keinen Job hat, denn fast niemand will untätig herumhängen! Das aktive Vereinsleben und die wachsende Zahl an Selbstständigen sind Indikatoren dafür.

 

2014 wurden in Österreich 37.120 Unternehmen gegründet, 85 Prozent davon EPU (Ein Personen Unternehmen). Viele davon wählen die Selbstständigkeit nicht freiwillig. Unter den neu gegründeten EPU sind 8.630  „Personaldienstleister“, de facto Pflegekräfte, die ihren Wohnsitz häufig in benachbarten osteuropäischen Staaten haben. Auch in anderen Branchen werden Arbeitnehmer oft in billige Umgehungsverträge gezwungen, damit die Auftraggeber Personalkosten sparen. Die Gewerkschaft hat bis heute auf diesen Wandel nicht reagiert.

 

Die Leistungen der Freiwilligen stehen außer Frage, aber solange diese Leistungen unentgeltlich sind, sind sie auch keine Arbeit. So sieht das jedenfalls unser Sozialminister. Rudolf Hundstorfer tut sich schwer, freiwilllige Leistungen als Arbeit zu qualifizieren. Arbeit setzt der Sozialminister und ehemalige Gewerkschaftsboss mit Lohnarbeit und einem geregelten Beschäftigungsverhältnis gleich. Die Gewerkschaften – und mit ihnen der Sozialminister – kämpfen zwar gegen ungleiche Löhne, aber sogar das nur mit mäßigem Erfolg, wie wir am Tag der Frau Jahr für Jahr aufs Neue erfahren müssen. Und eher geht ein Kamel durch das Nadelöhr, als dass ein Gewerkschafter auf die Idee käme dafür zu kämpfen, Leistungen ordentlich zu entlohnen, die für die Gesellschaft wesentlich wichtiger sind als die Spielchen gesellschaftspolitisch wertloser, aber hochbezahlter Finanzjongleure.

 

Das Leistungsprinzip geht von messbaren und vergleichbaren Leistungen aus. Aber die Einkommensschere, die, wie wir nicht erst seit Thomas Piketty wissen, so weit wie noch nie auseinander klafft, erfordert es, diese Voraussetzung prinzipiell in Frage zu stellen:
Was ist eine Leistung? Damit unmittelbar in Zusammenhang steht die Frage: Was ist Arbeit?

Die Gleichung
Hohe Leistung = Hoher Lohn
hatte nie hundertprozentige Gültigkeit. Heute hat sie überhaupt keine Gültigkeit mehr, außer beim Abfahrtsweltmeister, der um eine messbare hundertstel Sekunde schneller als der Zweite ist, und dafür Goldmedaille und Prämie kassiert. Dazu kommen ein paar andere Sportarten, deren Leistungen mit exakten Messungen erhoben werden. Wer jedoch den ganzen Tag telefoniert – und das ist ein weit verbreitetes Phänomen unserer Zeit – sitzt vielleicht in einem Callcenter für einen geringen Lohn, oder in der Verkaufsabteilung eines gut gehenden Unternehmens und kassiert für jeden Abschluss neben einem hohen Fixum auch noch beachtliche Provisionen. Oder er (manchmal sie) sitzt am Strand oder auf seiner Privatjacht um ein paar wichtige Leute zu beeinflussen, wofür er (sie) von anderen wichtigen Leuten „Erfolgshonorare“ bezieht.

 

Da Leistung nicht messbar ist, neigen manche Politiker dazu, die Leistung selbst zum Maßstab zu machen und den „Leistungsträger“ wie eine heilige Kuh zu behandeln. Diese Politiker stellen sich bei jeder Steuerdiskussion schützend vor die sogenannten „Leistungsträger“, die sie vor höherer Steuerbelastung bewahren wollen.  Ein weitere Mythos von Vertretern dieser Weltanschauung ist die Gleichung:
Hohes Risko = Hoher Gewinn.
Mittlerweile füllen die Bücher von Insidern, die Millionen als Zocker verdient haben, dabei aber nie ein persönliches Risiko getragen haben, ganze Bibliotheken. Die Banken, die ein hohes oder überhöhtes Risiko eingehen, verstaatlichen im Ernstfall die Verluste. Und hochbezahlte Manager gehen in der Regel mit einem Golden Handshake, wenn sie Mist gebaut haben.

 

Solche Zustände sollte theoretisch „der Markt“ regeln. Tut er aber nicht. Deshalb ist es wieder notwendig, zu einem Primat der Politik über die Wirtschaft zurück zu kehren. Es ist Aufgabe der Politik zu entscheiden, welche Berufe gesellschaftlich relevant sind und aufgrund der Relevanz-Pyramide eine Lohnpyramide festzulegen. Die Logik dieses Systems müsste sein, dass die gesellschaftlich relevanten Berufe, d.h. die für das Wohl der Gesellschaft arbeitenden Menschen und Branchen, höher entlohnt werden, als Berufsgruppen, die nichts zum Gemeinwohl beitragen. Lohnobergrenzen müssten eingeführt werden, weil „der Markt“ offenbar dazu führt, dass die hemmungslosen Nehmerqualitäten mancher Manager schneller wachsen als deren Leistungen.

 

Diese Forderung stellt die bestehende Lohnpyramide in vielen Bereichen auf den Kopf. Angesichts des derzeitigen Zustands der Politik vielleicht eine Illusion. Der Status quo lässt keine großen Hoffnungen aufkommen: Die SPÖ-Parteigänger mit den Gewerkschaftern in einem Boot haben nichts anders im Sinn als die Verteidigung der „wohlerworbenen Rechte“ der Arbeitnehmer, und übersehen dabei, dass viele EPU nur aufgrund ständiger Selbstausbeutung überleben können. Und die ÖVP sieht sich als Pflichtverteidiger der „Leistungsträger“.

 

Doch ich will daran glauben, dass die Diagnose des Ex-CDU-Politikers Heiner Geißler, der wie ein Wanderprediger durch deutsche Talkshows zieht, bald auch bei den politischen Repräsentanten ankommt. Der „Geißler des bestehenden Systems“ meint: „83 Prozent der Menschen haben ihr Vertrauen in das ökonomische System des Kapitalismus und nicht der sozialen Marktwirtschaft verloren. Und sie machen zu Recht die Politik dafür verantwortlich, dass sie das zugelassen hat. Die Politik hätte die Priorität haben müssen, in Wirklichkeit hat sich die Finanzindustrie angemaßt über die Politik zu herrschen. Die erste Finanzkrise ist dadurch entstanden, dass die Gier nach Geld die Gehirne dieser Leute regelrecht zerfressen hat. Heute erleben wir den Zusammenbruch dieses Systems.“

 

Erschienen in un a3ECO 10/2015

Siehe auch fischundfleisch.com

Siehe auch: Leistungsträger dein Name sei Meischberger (2011)

 

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