logo

bild

Verrat gehört in jeder Gesellschaft, umso mehr in jeder ehrenwerten Gesellschaft und somit auch unter den eingefleischten Schwammerlsuchern, zu den übelsten Vergehen und wird entsprechend scharf geahndet. In Utopia, dem mysteriösen Staat, über den Thomas Morus vor mehr als 500 Jahren geschrieben hat, ist das ganz anders. Um Tyrannen so schnell wie möglich zu beseitigen, belohnen die Utopier den Verrat.

 

Mit Proklamationen, die überall angeschlagen werden (heute würde das wohl über Social Media laufen), „versprechen sie gewaltige Belohnungen dem, der den gegnerischen Fürsten aus dem Wege räumt... Dieser Brauch, den Feind öffentlich auszubieten und zu verkaufen, wird von anderen Völkern als Zeichen einer entarteten Gesinnung und grausamen Untat verworfen; sie (die Utopier) selber betrachten ihn als höchst löblich und klug, weil sie durch dieses Verfahren die größten Kriege ohne irgendeine Schlacht schleunig zu Ende bringen.“

 

Ich bin kein eingefleischter Schwammerlsucher, sondern bislang bei jedem Versuch, ein paar Eierschwammerl zu finden, gescheitert. Nun aber, nach langen Regennächten und lauwarmen Tagen, musste sogar ein blindes Huhn mal was finden. So bin ich aufgebrochen und habe den Fund meines Lebens gemacht. An der tyrannischen Verschwiegenheit der Schwammerlsucher, die mir ihre Geheimplätze nie preisgegeben haben, räche ich mich jetzt mit folgendem Verrat:

 

Fahr in die Steiermark, bieg dann in der Waldheimat links ab und fahr nach dem Ende der Asphaltstraße noch genau 5,7 Kilometer. Da zweigt ein Forstweg nach rechts ab, und du findest das Schild mit der Aufschrift „Pilze und Beeren sammeln strengstens verboten“. Da bist du richtig!

 

500 Schwammerl

 

P.S. Die größten und widerwärtigsten Tyrannen, abgesehen von jenen, die glauben, sie können uns den Wald verbieten, sind aber jene, die sogar auf Waldhängen mit 45 bis 70 Grad Gefälle Gefallen daran finden, ihre Bierdosen und Plastikflaschen wegzuschmeißen. Tyrannen, so wissen Psychologen, sind üblicher Weise Psychopathen. Die Psychopathen der Bierdose sind offenbar so geschädigt, dass sie ihre Machtgelüste sogar an der wehrlosen Natur austoben müssen.

 

Am 16.8.2020 publiziert via fischundfleisch. Kommentar von Iris123: „Große Grundstücke sind schwer einzuzäunen, weshalb Verbotstafeln herhalten müssen. Eigentlich ist Pilze sammeln in einem fremden Wald Diebstahl. Oder nicht?“

Meine Antwort: Alle deine Argumente wird man mit Forstrecht, Eigentumsrecht und sonstigen Paragrafen im Rechtsdschungel belegen können. Es stellt sich die Frage, warum in unserer Verfassung das NATUR-Recht auf Wald, Wiese und Wasser nicht verankert ist.

 

Ergänzung 13.9.2020 - Video des Textes (ab Minute 6), gelesen bei einer Veranstaltung von Anima Incognita am 9.9.2020

 

Ergänzung 11.9. 2020 – In Noam Chomskys Buch „Wer beherrscht die Welt?“ finde ich den Hinweis auf die Magna Charta, mit der König Ohneland im Jahr 1215 den Adeligen Englands grundlegende politische Freiheiten zusicherte. Chomsky verweist darüber hinaus auf die Bedeutung der Begleitcharta: „Die Charta des Waldes verlangt den Schutz der Allmenden vor äußerer Macht. Die Allmenden lieferten die Lebensgrundlage für die breite Bevölkerung: Brennstoff, Nahrung, Baumaterial, einfach alles, was die Menschen zum Leben brauchten. Der Wald war keine Wildnis im Urzustand. Man hatte ihn über Generationen sorgfältig aufgeforstet, gemeinschaftlich gepflegt, seine Reichtümer allen zugänglich gemacht und ihn für künftige Generationen erhalten.“ (S 118)

 

Banner Philosophische Praxis