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„Ein neues Denken wird die Grundvoraussetzung für alles Zukünftige sein.“ Ein schwerwiegender Satz mit unglaublicher Leichtigkeit formuliert. Das schafft die Autorin Tatyana von Leys immer wieder in ihrem „Kleinen Buch zum neuen Denken“. Wenn die Autorin ihre Gedanken, Überlegungen und Analysen entwickelt, dann „in typisch weiblicher Art höchst willkürlich“ (S. 19) - und wie ich als gelernter Philosoph neidlos anerkennen muss: unbeschwert, tiefschürfend und treffsicher!

 

Siehe auch Kommentare auf fischundfleisch.com

 

„Panik macht sich in mir breit, nicht zuletzt deshalb, weil sich die Gründe der Krise nicht benennen lassen, da alles mit allem zusammenhängt und unser neoliberales System der Ursprung der Krise und die Krise selbst ist.“ (S. 25)

 

„Das Web hat sich zu einem Überwesen entwickelt. Es kann als eigenes Sinnesorgan verstanden werden, als neues, gemeinsames Sinnesorgan aller Menschen. Mit dem globalen Sinnesorgan Web hat sich ein globales Bewusstsein herausgebildet, das weltweit Gefühle erzeugt. Dieses neue Sinnesorgan beeinflusst unsere Wirklichkeit und Wahrnehmung.“ (S. 27)

 

„Wir leben im Zeitalter der digital vermittelten, gefühlten Wirklichkeit. Postfaktisch gesehen kommt uns das sehr entgegen. Während wir bisher damit beschäftigt waren, die Wahrheit heraus zu finden, können wir uns sozialmedial auf unser Gefühl verlassen. Das erleichtert unsere Arbeit und reduziert den Stressfaktor enorm. Unser rationales Denken rückt in den Hintergrund und unsere Gesellschaft kann sich neu formieren. Damit sind wir zu einer Gesellschaft emotionaler und getriebener Wesen mutiert.“ (S. 48)

 

Diese Zitate sind elementar, denn das „kleine Buch zum neuen Denken“ ist auch ein Handbuch des Transhumanismus. „Der Transhumane ist ein Mensch, der über den Menschen hinausgewachsen, sprich mit besseren Fähigkeiten ausgestattet, die Welt und sich neu definiert. Es geht um die Optimierung und Verbesserung des ganze Menschen. Diese Optimierung betrifft alle Bereiche, sowohl auf geistiger, körperlicher und emotionaler Ebene.“ (S. 75) Mit diesem Handbuch des Transhumanismus liefert die Autorin nicht nur Denkanstöße, sondern auch den derzeit besten Überblick über die Thematik.

 

Leys Ein Herz für Mind Uploading 500

Tatyana von Leys, Ein Herz für Mind Uploading, Collage, 18x22 cm

 

Tatyana von Leys bringt kurz und prägnant die wichtigsten Argumente, Pro und Contra, von Ray Kurzweil bis Jürgen Habermas und thematisiert auch künftige ethische Probleme, denn die „Schnittstelle zwischen Mensch, Bewusstsein und Technologie wird zu einer der wichtigsten politischen Fragen werden … Die Technik ist zur politischen Kraft geworden.“ (S. 123)

 

Resümee: Auch wenn die Autorin große Hoffnungen in die Technik setzt und Chancen sieht, dass die Welt der Transhumanen eine bessere Welt sein wird als die Welt des Homo faber und des Homo sapiens, bleibe ich als gelernter Philosoph skeptisch. Ich glaube nicht, dass die biotechnologische Revolution in 20 Jahren das schaffen könnte, was die Evolution der Menschheit in den vergangenen 200.000 Jahren, das Christentum in den vergangenen 2000 Jahren, die Aufklärung in den vergangenen 200 Jahren nicht geschafft haben: einen Menschen, der das Prädikat menschlich verdient.

 

Tatyana Leys

Das kleine Buch zum neuen Denken

Technik und Macht = Evolution neu gedacht

ISBN: 978-3746054513

 

Buchpräsentation im Kunstraum der Ringstrassen Galerien am 27. November 2018

 

Siehe auch Rezension von Bernd Vowinkel auf amazon:

Auf Seite 127 zitiert dabei die Autorin den Abgeordneten des Europaparlaments Arne Gericke (Familienpartei) mit den Worten: „Hinter jeder Maschine muss immer menschliche Verantwortung stehen.“ Ich hoffe, dass das nicht die Meinung der Autorin ist, obwohl derzeit wohl die meisten Menschen dieser Aussage vorbehaltlos zustimmen würden. Sie ist aber nach meiner Ansicht ethisch nicht haltbar, denn wenn eines Tages Maschinen alle menschlichen Fähigkeiten erwerben sollten oder sogar darüber hinausgehen, dann sollten ihnen auch alle Rechte des Menschen zugestanden werden. Alles andere wäre Speziesismus und dieser steht moralisch auf der gleichen Stufe wie der Rassismus.

 

Ergänzung 7.9.2020

Viele Jahrtausende haben Metaphysiker versucht die Frage zu beantworten, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Nach Corona muss sich auch die Metaphysik neu orinentieren, denn die zentrale Frage lautet heute: gibt es ein Leben nach Corona? Und: gibt es ein Leben jenseits von Corona? Ein Philosoph, der sich vermutlich nicht so wichtig nimmt, mit Sloterdijk und Precht in einem Atemzug genannt zu werden, hat uns seine Gedanken zu dem Thema geschenkt. Danke Pirandello!

 

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