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Am 22. Oktober 2011 schreibt Michael Fleischhacker, Chefredakteur der Tageszeitung "Die Presse", einen Leitartikel unter dem Titel "Den großen Wurf gibt es gar nicht". Siehe: "Die Presse, 22. 10. 2011"

Dazu ein offener Brief:

Sehr geehrter Herr Fleischhacker,

mit Ihrem Leitartikel „Den großen Wurf gibt es gar nicht“ haben Sie billig alle Vorurteile bedient, die Sie wahrscheinlich bei den Lesern der PRESSE vermuten. Zu Unrecht!

Mit dem „Große-Würfe-Supermarkt“ diskreditieren Sie all jene, die halt ein bisserl weiter denken, als an das nächste Krisen-Rettungs-Milliarden-Paket. Dass hier „nur zwei Modelle im Regal“ stünden, ist suggestiv, denn man müsste sich halt einmal außerhalb dieser „Supermarkt-Regale“ umsehen.

Klar ist, dass eine „Blitz-Zentralisierung“ Europas nichts bringen wird, solange die herrschende politische Kaste der Meinung ist, dass der Finanzmarkt nicht kontrollierbar ist – und demgemäß handeln. Wie sich die politische Kaste vom Finanzmarkt treiben lässt, hat einmal mehr das hysterische Aufschreien von Spindelegger und Fekter gezeigt, nachdem die ungarische Regierung den Forint-Franken-Kurs neu geregelt hat. Dabei hat die ungarische Regierung seit Jahren erstmals in Europa genau das gemacht, wozu eine Regierung da ist: sie hat im Interesse der Bevölkerung gehandelt und nicht im Interesse des Finanzmarktes. Herr Treichl hat es als erstes kapiert, hat tief durchgeatmet und die entsprechenden Abwertungen vorgenommen. So einfach geht’s, wenn eine Regierung regiert! Pervers war dabei nur, dass in vorauseilendem Gehorsam gegenüber den Banken Spindelegger/Fekter die Kapital-Interessen einzelner Marktteilnehmer zu National-Interessen Österreichs erklärt haben.

Monatelang mussten wir uns das Politiker-Geschwätz anhören, dass man „Griechenland nicht in den ungeordneten Konkurs“ schicken könne bzw. dürfe. Warum haben die Politiker und Finanz-Kontroll-Instanzen Europas die Zeit nicht besser genutzt, um eine Konkurs-Ordnung zu erstellen? Um einen für alle absehbaren Konkurs – aber geordnet – durchzuführen. Wäre ja nicht das erste Mal in der Geschichte, nur weil es das erste Mal in der EU-Geschichte ist.  Erst nachdem die Börsen – absurder Weise (oder typischer Weise?) am Höhepunkt der Positiv-Berichte über die aktuelle Konjunkturphase – im Sommer eingebrochen sind, kamen die ersten Politiker mit Andeutungen darüber, dass man über einen Konkurs Griechenlands nachdenken müsse. Nachdenken! Das hätte man vorher nicht tun können? Wozu sind die Politiker mit ihren hochbezahlten Think-Tanks denn da?

Der zweite Vorschlag „oder man verkleinert die Eurozone auf die Hartwährungsländer“ ist auch schon ausgelutscht, aber deshalb immer noch nicht besser. Wenn es notwendig wird einen Großkonzern in (geordneten) Ausgleich/Konkurs zu schicken, so heißt das ja nicht, dass dies alle anderen Unternehmen, die in der gleichen Währung wie dieser Konkurs-Konzern bilanziern, in den Abgrund reißt. Warum wird diese Automatik im Falle eines Landes-Konkurses immer wieder mantra-artig wiederholt? Weil alle glauben, es gäbe KEINEN GROSSEN WURF, sondern maximal zwei Notlösungen, aus denen wir das geringere Übel wählen müssen!

Hier ein paar Ideen – ich hab nicht geprüft ob diese aus dem „linken Mainstream“ kommen, aber Sie werden es mir sicher gleich beweisen, sofern Sie mich überhaupt einer Antwort würdig befinden (bis jetzt war´s ja nicht so):

  1. Wiedereinführung des Genossenschafts-Prinzips oder Verstaatlichung der Banken: Banken dürfen (so wie Kommunen) nicht gewinnorientiert arbeiten, sondern sind dazu da, der Realwirtschaft zu dienen. „Die Verstaatlicher und Entmündiger wittern Morgenluft“ – dieser Satz ist symptomatisch für Ihre flache Polemik, denn es ist durchaus legitim über die Verstaatlichung von systemrelevanten Einrichtungen nachzudenken, wenn diese zur Bedrohung des Systems werden. Nicht erst, wenn diese vor dem Bankrott gerettet werden müssen (Kommunalkredit, Hypo Alpe Adria), sondern weil ihr Geschäftsmodell zur Bedrohung für das System geworden ist.
  2. Kontrolle: Jedes Finanzmarkt-Produkt muss vor der Markteinführung von einer Finanzkontroll-Behörde zugelassen werden.
  3. Boni-Verbot, Verbot von Abfindungen, Lohn-Obergrenze: Dass „Manager“, die im Laufe ihrer Karriere nur bewiesen haben, dass sie imstande sind ihre Eigeninteressen zu vertreten und in historisch tatsächlich noch nie gesehener GIER sich ihre Inkomptenz beim Abgang noch hoch bezahlen lassen, ist kein Beweis für einen „freien Markt“, sondern ein Beweis für Dekadenzerscheinungen eines Systems, das kurz vor dem Untergang steht. Daran glaubt nicht nur Ihre „yoga-geeichte liberal-katholische Hausfrau in Hietzung“, das haben mittlerweile auch schon viele Höchstverdiener eingesehen, die für sich selbst höhere Steuern fordern. Und viele christlich-soziale und öko-soziale Unternehmer, die in Generationen denken und nicht in Quartalsberichten, sowieso.

Ihre liberalen Ideale in Ehren, aber wenn ein System so offensichtlich krank ist, als Diagnose ausschließlich antiquierte, polarisierende Phrasen (links vs. rechts, Leistungsgesellschaft vs. Neidgesellschaft, Weltrevolution vs. Freiheit) nachzubeten, ist mir für einen „Leitartikel“ ein bisschen zu wenig!

Mit besten Grüßen

Hubert Thurnhofer

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