Prämisse 1
Was ist Kunst? Eine fundamentale Frage, die das Wesen dieses sich laufend neu definierenden Phänomens zu ergründen sucht und gleichzeitig in Frage stellt. Was ist Fußball? Eine blöde Frage, wenn nicht sogar eine saublöde Frage. Niemand würde auf die Idee kommen, so eine Frage ernsthaft zu stellen. Doch wenn die österreichische Mannschaft aufs Feld läuft fragen sich viele: ist das noch Fußball? Deshalb hier eine sachliche Antwort.
Wenn zwei Mannschaften mit je 11 Personen auf eine Lederwuchtel (heute meist aus Kunststoff) eintreten und versuchen, diese möglichst oft über ein rechteckiges Rasenfeld in das gegenüberliegende Tor zu befördern, dann spricht man landläufig von Fußball und meint das Fußballspiel. “Die reguläre Spielzeit beträgt 2x45 Minuten, die Pause zwischen beiden Halbzeiten maximal 15 Minuten. Nach der Halbzeit werden die Spielfeldseiten gewechselt. Geleitet wird ein Spiel von einem Schiedsrichter und zwei Schiedsrichterassistenten. Der Ball darf mit allen Körperteilen außer Hand (gesamter Arm) gespielt werden. Nur der Torhüter kann innerhalb seines Strafraumes den Ball auch mit den Händen aufnehmen, so der Brockhaus in bewährt trockener Manier über die Regeln des Spiels.
Könnte Fußball in einer idealen Welt ohne Schiedsrichter auskommen? Alle Spieler wären Ritter der Fairness und die Mannschaften ließen sich gegenseitig den Vortritt beim Sturm auf das gegnerische Tor. Die Stadien wären wohl bald leer – und wäre Fußball ohne die schreienden und tobenden Fans noch Fußball? Wäre Fußball ohne die permanenten, absichtlichen und unabsichtlichen Regelverstöße noch Fußball? Nein. Erst Regelverstöße machen Fußball zum Fußball. Ohne Regelverstöße wäre Fußball bestenfalls eine Ballett-Einlage auf dem Opernball.
Prämisse 2
Fußball ist ein Spiel, und bleibt für viele ein ewiger Traum: die Kids, die von einem Leben mit dem runden Leder träumen, die Kicker in der Regionalliga, die vom Aufstieg träumen, die Spieler in der Oberliga, die von der internationalen Karriere träumen, die Spieler in den internationalen Spitzenclubs, die von einem Wohnsitz in Monaco träumen. Fußball ist ein Spiel, und bedeutet doch für viele das wirkliche Leben: gesicherte Jobs für Platzwarte und Rasenmäher, lohnende Nebeneinkünfte für Funktionäre, erkleckliche Summen für die Werbewirtschaft, ganz passable Einkommen für die Mitläufer auf dem Mittelfeld und Spitzengagen für wenige Stars.
Kunst ist ein ewiger Traum und bleibt doch für viele nur ein Spiel: als Zeitvertreib der Mali-Tant, als Egotrip von Kunststudenten, als „Arc de Triomphe“ aus Gelatine oder als Osterhase von Jeff Koons. Kunst ist das wirkliche Leben und bleibt doch für viele nur ein ewiger Traum: ein regelmäßiges Einkommen, staatliche Sozialversicherung, Anerkennung bei Kunskritikern, Galeristen, Museumsdirektoren und dem Rest der meinungsbildenden Öffentlichkeit.
Conclusio
Fußball ist im Gegensatz zur Kunst so reglementiert wie Rettung und Feuerwehr. Fußball ist im Gegensatz zur Kunst ein Spiel, dessen Regeln jeder aktive und passive Teilnehmer kennt und ernst nimmt. Jeder aktive und passive Fußballer weiß, was Fußball ist und kennt die Qualitätsunterschiede von Fußball in der Regionalliga und in der Champions League. Dasselbe gilt im Umkehrschluss für die Kunst nicht! Die Kunst des 21. Jahrhunderts kennt keine Regeln. Sogar die Insider der Kunst behaupten, es gebe keine allgemein gültigen Kriterien dafür, ob etwas Kunst sei oder nicht. Damit ist auch das, was über Jahrhunderte für Fortschritte in der Kunst gesorgt hat, nämlich der subtile Regelverstoß, heute nicht mehr möglich und Kunst zum Stillstand verurteilt.
Dies ist die unzureichende Begründung für die These, dass (zeitgenössische) Kunst ein Fußball ist. Allerdings ein Fußball, der sich außerhalb des Spielfelds befindet, aufbewahrt in einer Glasvitrine im Museum für zeitgenössische Kunst.
Um:Druck März 2008