Jänner. Besuch der London Art Fair. Mehr als 100 Londoner Galerien zeigen die gefragtesten Künstler, die das Empire nach der Geburt der Young British Artists (is a show 15 your hair) aufzubieten hat. Unter ihnen Beryl Cook mit „Granny and her Pet Mouse“. Das naive Bild sieht genau so aus wie es heißt. Das ca. 70x80 cm große Kunstwerk wird von der ausstellenden Galerie mit 38.000 Pfund taxiert. Von der Galeristin erfahre ich, dass es sich um eine der berühmtesten Künstlerinnen des Landes handelt. Meine naive Frage, warum sie dann im Rest Europas völlig unbekannt sei, beantwortet die Galeristin in aller Offenheit: „Art does not travel.“
Feburar. Die Kunst bleibt, wo sie ist, wir reisen weiter. Zur ART in Innsbruck. Die gefragteste Kunstkritikerin im Heiligen Land Tirol meint, “der Großteil von dem, was hier als Kunst verkauft wird, ist nicht die Farbe wert, mit der sie gemalt wurde. Offenbar hat sie die London Art Fair nicht besucht.
März. Das Stadtmuseum Bad Ischl eröffnet GENESIS, eine exhibition in progress vom gefragtesten Kurator zwischen Grundlsee und Traunsee.
April, 15th. Der Todestag von Robert Musil jährt sich zum 65sten Mal. Ich besuche eine der gefragtesten Sammlerinnen von Miami, Rosa de la Cruz. Während die Galerien in Miami fast ausschließlich lateinamerikanische Künstler präsentieren, die aber alle in bisserl pop-artig angehaucht sind, gibt sich die Sammlung de la Cruz internationalistisch. Sigmar Polke, John Bock, Jonathan Meese, Martin Kippenberger sind ein paar Namen, die sich die Sammlerin in Europa für gutes Geld eingekauft hat. Rosa de la Cruz führt persönlich durch ihre Schätze und verrät dabei, was sie unter „experimentell“ und „intellektuell“ versteht.
Mai. Der Kunstmarkt boomt. „US-Verbrechen im Irak: Neue Folterbilder schocken die Welt“ so ein Aufmacher der „Kronenzeitung“. Und darunter ein Foto von Picassos „Knabe mit Pfeife“ und die etwas kleinere Headline: „105 Millionen $ für einen Picasso“. Das war am 7. Mai 2004. Drei Jahre später: „Die gestrige Frühjahrsauktion bei Sotheby's brach alle Rekorde. Insgesamt kam in New York Kunst für 255 Millionen Dollar unter den Hammer. Die Käufer: Die neuen Mega-Reichen aus den USA, Europa, Russland und China“, berichtet „Der Spiegel“ am 16. Mai 2007. Nebenbei wurde bei dieser Auktion Mark Rothkos „White Center“ zum „wertvollsten Stück Nachkriegskunst der Auktionsgeschichte“. Wie lange hälte der Boom noch an? Können die gefragtesten Bilder der gefragtesten Künstler dieser Welt noch teurer werden?
Juni. Die gefragteste Weltstadt eröffnet das Museum auf Abruf (MUSA). Das MUSA umfasst rund 16.500 Objekte sämtlicher Kunstsparten von etwa 3.000 KünstlerInnen und bietet somit einen Querschnitt durch die Wiener Kunstentwicklung der letzten Jahrzehnte. Das ist gut und schön. Teil des MUSA ist die Artothek, die für 2,50 Euro pro Monat Bilder verleiht. Das ist weniger gut, und vor allem unschön gegenüber kommerziellen Galerien, die Kunst verkaufen wollen. Wie die IG Galerien bereits 2002 festgestellt hat: Wenn eine Artothek öffentliches Eigentum privatwirtschaftlich nutzbar macht, so ist das so sinnvoll, wie die bundeseigenen Aktien der Telekom-Austria an Liebhaber zu entlehnen. Kein Mensch würde glauben, damit den Aktienmarkt zu beleben.
Juli. Die gefragteste Kulturministerin Österreichs ernennt Lilli Hollein zur Kommissärin für den österreichischen Beitrag zur 7. Internationalen Biennale für Architektur in Sao Paulo. „Der Standard“ lässt in seinem Kurzbericht (am 25.7.) nicht unerwähnt, dass es sich um die Tochter des Architekten Hans Hollein handelt. Es sei hier nicht in Zweifel gezogen, dass Lilli für diesen Job qualifiziert ist - dies ist ja wohl von genetischer Evidenz! Aber ist es wirklich so, dass in ganz Österreich außerhalb der Familie Hollein keine Kunst-Kommissäre zu finden sind? (Schlag nach in „Kunsthefte“ vom Juni 2005).
August. „Subprime-Krise“ wird zum gefragtesten Wort des Monats. Sieben Jahre nach der Internetblase platzt die amerikanische Hypothekenkreditblase. Und es ist nicht zu glauben: So gut wie alle europäischen Topbanken, bei denen jeder einfache Schuldner seine Großmutter (oder wenigstens deren Sparbücher) verpfänden muss, wenn er mal 1.000 Euro braucht, haben sich Milliarden dieser windigen Kredite andrehen lassen – und schreiben sie jetzt husch husch ab. „Vorsorge treffen“ heißt das in der Bilanzbuchhaltung. Was das mit Kunst zu tun hat? Na, wenn das keine Kunst ist!
September. Ein Aufenthalt in Moskau darf nicht ohne Besuch des gefragtesten russischen Museums, der Tretjakow-Galerie, vorübergehen. Hier findet sich ein Kunstwerk, das im Zentrum jeder Pilgerreise durch die Kunstgeschichte stehen sollte. Es stammt nicht von Malewitsch, nicht von Chagall und auch nicht von Kandinsky, um die paar Russen zu erwähnen, die auch der typische eurozentrierte Kunsthistoriker (ich bin nicht würdig, dass du einkehrst unter mein Dach) kennt. Das Werk, das ich meine, stammt von dem 1894 verstorbenen Nikolaj Ghe. Das Bild aus dem Jahr 1893 heißt „Golgotha“ und enthält inhaltlich, formal, stilistisch und technisch bereits alles, was in der Malerei des 20. Jahrhunderts erst viel später zu sehen war. Ghe hin in Frieden!
Oktober. Sigita Daugule , wohl eine der gefragtesten lettischen Künstlerinnen Lettlands, besucht Wien. Igor Leontjew, wohl einer der gefragtesten russischen Künstler Lettlands, wollte Wien besuchen, muss sich aber statt dessen acht Stunden lang unter das Messer eines Chirurgen legen.
November. „1.760.000.000. Diese fast unvorstellbare Summe wurde innerhalb von 10(!) Tagen in New York für Kunst ausgegeben“, schreibt das artmagazine.cc in seinem Newsletter am 19.11. Die gefragtesten Fragen, die wir im Mai noch nicht beantworten konnten, scheinen sich nun selbst zu beantworten.
Dezember. In guter Tradition bringen die gefragtesten Kunstmagazine Rückblicke über die gefragtesten Künstler, die gefragtesten Ausstellungen, die gefragtesten Sammler und die gefragtesten Kunstmessen des Jahres. Was nun war im Kunstjahr 2007 wirklich gefragt, gefragter, am gefragtesten? Geantwortet, geantworteter, am geantwortetsten!
Um:Druck Dezember 2007
Siehe auch: 12 Anmerkungen zur Documenta