Nun ist diese Regierung auch schon fast ein halbes Jahr alt und die schlimmsten Erwartungen haben sich nur deshalb nicht erfüllt, weil wir jegliche Erwartung bereits vor der Angelobung dieser Regierung als unzeitgemäße demokratiepolitische Kategorie beerdigt haben. Wir leben nämlich nicht in einer Zeit, in der Parteien ihr Wahlvolk mit Zukunftsvisionen mobilisieren und so unvorsichtiger Weise Erwartungen wecken, die eventuell nicht erfüllt werden könnten. Wir leben vielmehr in einer Zeit, in der Vision durch Feasibility ersetzt wurde. Die Frage der Machbarkeit prägt den heutigen Pragmatismus, und da darf man sich keine großen Sprünge erwarten, denn der politische Fortschritt ist immer nur so groß wie das kleinste gemeinsame Vielfache der zwei Regierungsparteien dividiert durch die Anzahl ihrer Wählerstimmen.
Dem entsprechend konnten nur weltfremde Idealisten glauben, dass die von der SPÖ vor der Wahl proklamierte Steigerung des Kulturbudgets um 200 Millionen Euro als kulturpolitische Vision gemeint war. Es war lediglich ein Wahlzuckerl, an dem alle Kulturschaffenden lutschen durften. Doch wer ein Zuckerl lutscht darf sich nicht wundern, wenn es kleiner wird. Das gilt auch für Wahlzuckerl. So wurden aus den 200 Millionen 22,5 Millionen für das aktuelle Doppelbudget und der Traum vom schnellen Geldregen für die Kultur wurde feasibilisiert auf 20 Jahre – hat ja keiner gesagt, dass wir diese Summe sofort bekommen, oder?
Nun haben wir aber wenigstens eine Kulturministerin, die sich als ehemaliges Vorstandsmitglied der Kommunalkredit aufs Rechnen versteht. “Angesichts der nur minimalen Budgetsteigerungen will SP-Unterrichtsministerin Claudia Schmied Zuwendungen zum Kunst- und Kulturbereich durch Steuerbegünstigungen attraktiv machen. Derzeit würden Konzepte erarbeitet. So könnte z. B. der Paragraf 18 des Einkommenssteuergesetzes, wonach Ausgaben für wissenschaftliche Einrichtungen als Betriebsausgaben abgesetzt werden können, auch auf Kunst und Kultur ausgedehnt werden. Schmied schwebt eine Umsetzung im Rahmen der geplanten Steuerreform 2009 vor", berichtet Der Standard am 2.4.2007. Und zwei Wochen später “beteuerte Bildungsministerin Claudia Schmied (SPÖ), dass es ihr Ziel sei, die Kulturausgaben auf ein Prozent des Bruttoinlandprodukts zu vergrößern. Da gegenwärtig nur "etwa 0,6 Prozent des BIP" in die Kunst und Kultur flößen, strebt Schmied also eine Budgetsteigerung bis 2011 um 66,6 Prozent an", so Der Standard am 14./15.4.2007.
Noch am 6. März hatte Schmied auf die Frage, wie sie zur Absetzbarkeit von Sponsoring oder Kunstankäufen stehe, in einem Standard-Interview gesagt: “Das ist eine lange Diskussion. Und ein heikles Thema. Wann ist ein Kunstwerk ein Kunstwerk? Das halte ich für schwierig in der Umsetzung. Denn das sehen wir ja auch bei der Künstlersozialversicherung: Wann ist ein Künstler ein Künstler, um Anspruch zu haben?" 175 Postings im Online-Standard beweisen, dass die neue Kunstministerin imstande ist Emotionen zu wecken. Aber darf eine Minsiterin diese Fragen stellen? Oder muss sie diese Grundsatzfragen sogar stellen? Ist die Frage “Was ist Kunst?" eine Frage, die im politischen Diskurs auf parlamentarischer oder auf ministerieller Ebene entschieden werden darf oder sogar entschieden werden muss?
Wenn der Staat Kunstförderung vorsieht und folglich Nicht-Kunst nicht fördert, so ist die Frage, “Was ist Kunst?" natürlich eine politische Frage und von den politischen Organen zu beantworten. Der Ministerin ist es zu danken, dass sie diese Diskussion angefacht hat, ohne sich der Tragweite der Fragestellung bewusst zu sein. Bleibt abzuwarten, ob die Diskussion weiterhin nur in Online-Foren geführt wird, oder auch von den politischen Institutionen aufgegriffen wird. Bisher hat man sich um die Beantwortung dieser Frage jedenfalls hinweggesetzt, indem Mittel für “staatstragende" Institutionen wie Theater und Museen außer Diskussion gestellt wurden und die Peanuts für den Rest der Kulturwelt von politisch “berufenen", aber politisch nicht weiter legitimierten Beiräten verteilt wurden. Im profil vom 23.4. 2007 sagt Schmied: “Ich möchte die Förderabwicklung aber in der Tat mit noch mehr Transparenz versehen und die Kommunikation mit den Antragstellern verbessern." Das ist lobenswert, aber es wird nicht reichen. Denn vor allem die Kommunikation mit den abgelehnten Antragstellern (in Form einer Begründung der Ablehung) hat ja bislang überhaupt nicht stattgefunden mangels verbindlicher politischer Definitionen von (zu fördender) Kunst und (nicht geförderter) Nicht-Kunst.
Die Frage “Was ist Kunst?" wäre allerdings völlig unerheblich, wenn der Staat Kunstankäufe steuerlich fördern würde. Das Steuergesetz beantwortet auch nicht die Fragen “Was ist eine Banane?" oder “Was ist eine Beratung?" Es regelt aber sehr genau, wie Geldflüsse zu versteuern sind, wenn Bananen oder Beratungen in den Wirtschaftskreislauf gelangen. Und warum muss das ausgerechnet bei der Kunst anders sein? Warum kann Kunst nicht gleich behandelt werden wie jede Banane? Es liegt wohl daran, dass die Politiker aller Coleurs vergessen haben, dass “Steuer" nicht von “Geld eintreiben" kommt, sondern von “steuern". Mit Steuern kann man das (Kauf-)Verhalten steuern. Dabei geht es gar nicht um steuerliche “Begünstigung" von Kunst, sondern um die längst fällige steuerliche Gleichbehandlung mit Bananen und allen anderen Wirtschaftsgütern.
Somit steht jede Regierung vor der Entscheidung, ob sie ihre Aufgabe darin sieht, selbst zu definieren was Kunst ist, und diese Definitionsmacht über (wachsende) Fördertöpfe zu festigen, oder ob sie ihren mündigen Bürgern überlässt zu entscheiden, was Kunst ist, indem sie seine Entscheidung für eine bestimmte Kunst in seiner Steuererklärung anerkennt. Aber solange bei Steuerreformen immer nur über die Frage gestritten wird, welche Klientel welcher Partei wieviel mehr oder weniger zahlen soll, solange bleiben folgende Fragen unbeantwortet: Wann ist Politik Politik? Und wann sind Politiker Politiker?
UM:Druck, Juni 2007