Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, hier mal über den österreichischen Tellerrand hinaus zu blicken und über meinen jüngsten Besuch der Finanzmetropole Frankfurt zu berichten. Dort nämlich hatte ich die Gelegenheit, das von Hollein dem Älteren geplante Museum Moderner Kunst (MMK) sowie die von Hollein dem Jüngeren geleitetete Schirn-Kunsthalle zu besuchen. Während im Schirn derzeit monumentale Arbeiten von Julian Schnabel hängen, hat das MMK einige von Warhols „Time Capsules“ – Reliquien aus den Umzugskartons des Künstlers – vor dem Publikum ausgebreitet.
Eigentlich wollte ich hier Zusammenhänge zwischen Finanzmetropolen und Kunstmetropolen herstellen, die kultischen Aspekte moderner Museumsarchitektur beleuchten, sowie die auf Superstars reduzierte Museumspolitik hinterfragen, um schließlich vor dem Leser das brisante Resümee auszubreiten, dass zeitgenössische Museen in Wahrheit als architektonische Kultstätten den Sakralbau abgelöst haben, und die in diesen Sakralbauten ausgestellten Werke dementsprechend ausschließlich kanonisierte Reliquien des Kunstolymps sein müssen und somit diese Inszenierungen der Moderne absolut keinen Raum für einen Dialog mit der zeitgenössischen Kunst in ihrer Gesamtheit mehr übrig lassen.
Das nun wäre eigentlich der ganze Inhalt dieser Kolumne gewesen, wenn da nicht kurz vor Redaktionsschluss eine Presseaussendung der Firma Kunstkontakt auf meinen Tisch, d.h. natürlich in meine Mailbox, geflattert wäre. Titel der frohen Botschaft: „Kunstkontakt erhält Großauftrag aus Wien“. Auch wenn der Galerist in mir neidisch die Nase rümpft, so ermahnt mich doch das Gewissen eines Präsident der IG Galerien zu einer freundlichen Gratulation, die der Würde des Amtes angemessen ist. Als Steirer darf ich mich auch heimlich freuen, dass ein Vorarlberger endlich den Wienern zeigt, wo Bartl den Most holt: Nämlich im Hotel Hilton, das die Dornbirner Firma Kunstkontakt mit der künstlerischen Ausstattung des gesamten Hotel-Neubaus beauftragt hat.
"Besonders stolz ist man auf die Tatsache, dass nicht einfach nur Bilder vermittelt wurden. Wir konnten vor allem mit unserer Beratungsleistung überzeugen", erklären die Geschäftsführer Emilio Bietti und Heinz Mathis in ihrer Aussendung. Tja, ein bisserl Lobhudeln wird in einer Pressemitteilung schon noch erlaubt sein! Aber eigentlich interessant sind die Fakten, und die sind überwältigend. Wörtlich: „Rund 1.200 Werke - von Fotografien und Fotocollagen über Gemälde bis zu Objekten - werden von Hilton angekauft. Neben Originalgemälden wie Portraits, einer Hommage an Klimt, Triptychons, zwei riesigen Deckengemälden oder einer Comic-Serie werden zumeist hochwertige Reprographien auf Leinwand - eine Spezialität von Kunstkontakt - speziell angefertigt und präsentiert. Besonders erfreulich: fast alle Werke stammen von Vorarlberger Künstlerinnen und Künstlern, die rund 70.000,-- Euro an Honoraren aus dem Hilton-Auftrag erhalten.“
Wollen wir einmal davon ausgehen, dass „zwei riesige Deckengemälde“, selbst wenn sie von einem Vorarlberger stammen, die Hälfte des Künstlerhonorars verschlingen, so bleiben 35.000 Euro für „rund 1.200 Werke“, das wären dann durchschnittlich 29 Euro pro Kunstwerk als Künstleranteil. Selbst wenn – anders gerechnet - für 200 „Originalgemälde“ nochmals 50 Prozent des verbliebenen Budgets ausgegeben würden, verblieben den Künstlern für ihre Originale kaum 100 Euro. Für hochgerechnet 1.000 „Reprographien“ blieben dann noch matte 10-15 Euro Künstlerhonorar.
Nur damit klar wird, in welchen Kategorien die Hoteliers Soravia, nebstbei noch Miteigentümer des Dorotheum und Spender des gleichnamigen Flugdaches vor der Albertina, geplant und errichtet von Hollein dem Älteren, denken, wenn es um Kunst im Hilton geht, lässt Kunstkontakt zum Ende der Aussendung noch eine Bombe platzen. Wörtlich: "Hilton hat sogar das Budget für Pflanzen zugunsten der Kunst reduziert - eine Folge unserer überzeugenden Arbeit."
Es gab Zeiten, in denen das Wort Kultur für eine gebildete und wohlhabende Schicht von größter Bedeutung war. Nun sind wir in unserem Ländle ebenso wie in unseren Landen verglichen zum Rest der Welt ja alle gebildet und wohlhabend, naja, zumindest wohlhabend, so dass Kultur in unserem Leben bis hin zum Geschäftsleben, und deshalb auch im Kunstgeschäft, kein Fremdwort sein sollte. Doch die Kultur hat sich mittlerweile – unbemerkt von allen Kultur-Seismographen – in zwei Pole gespalten: Entweder Kult oder –ur. So huldigen die Museumsdirektoren jener Kunst-Welt ihrem Kult, während das Fußvolk dieser Kunst-Welt sich auf sein je eigenes –ur besinnt, soweit es eben noch bei Besinnung ist.
Wiener Kunsthefte, März 2004