Wir schreiben September 2002 und wissen nun, eine Studie ist erschienen. Fragt sich bloß wem sie erschienen ist und was drin steht. Am 9. August 2000, hundert Tage nach seinem Amtsantritt, erklärte Morak in einem Interview, er habe eine Studie in Auftrag gegeben, die „im Herbst“ fertig sein solle. Dass damit Herbst 2002 gemeint sei, wäre dem naiven Chefredakteur des WebTV-Senders ptv damals zwar nicht eingefallen, er weiß aber jetzt, dass Morak ein Sekretär von Staatsformat ist, kurz einer, der seine Versprechen auf jeden Fall hält, egal, wie viele Jahre vergehen.
Als das Präsidium der IG Galerien am 1. Juli dieses Jahres beim Staatssekretär antrat, um ihm die Anliegen der Galerien für zeitgenössische Kunst vorzutragen, war er auf die Frage der Absetzbarkeit von Kunst offensichtlich nicht vorbereitet. Dem Präsidium der IGG teilte er lapidar mit, er selbst wolle sich zu der Frage nicht äußern, vielmehr handle es sich um Fragen im Kompetenzbereich des „Herrn Finanzminister“ und des „Herrn Bundeskanzler“.
Vielleicht ist es dem Schauspieler ja genug, dass er die Direktion des Burgtheaters bis ins Jahr 2009 geregelt hat – es sei nicht nur dem Finanzminister vergönnt zu wissen, wohin er gehen soll, wenn er von der politischen Bühne abtreten muss. Im Unterschied zu Grasser, übrigens der beste Darsteller eines Finanzministers, den Österreich je hatte, spielt Morak seine Rolle schlechter als jeder Laiendarsteller.
Anders als ein Laienschauspieler, der selbst einen Text, den er nicht versteht, im Schweiße seines Angesichts lernen würde, hat Morak es zwei Jahre lang nicht für notwendig befunden, sich einen Text oder wenigstens eine Leer-Formel zur Absetzbarkeit der Kunst anzueignen, geschweige denn, sich mit dem Thema auseinander zu setzen.
Da das Kunststaatssekretariat offenbar nicht bereit ist, die Studie in absehbarer Zeit zu veröffentlichen und damit eine Diskussionsgrundlage zu liefern, hat die IG Galerien ihre letzte Vorstandssitzung kurzerhand zu einer spiritistischen Sitzung umfunktioniert, um von höheren Geistern oder niederen Phantomen zu erfahren, wie es mit der Absetzbarkeit der Kunst wohl weitergehe. Und siehe, Obolus, der Heilige Geist aller Finanzminister und Quälgeist aller Steuerzahler, ist erschienen und sprach wie folgt: „Die Absetzbarkeit der Kunst ist bereits Realität, außer sie ist real.“
Mit diesen Worten entschwand Obolus und ließ das versammelte Präsidium erstaunt, aber nicht ratlos zurück. Sofort entwickelte sich eine intensive Diskussion. Wollte uns das Phantom des Kunstmarktes sagen, dass virtuelle Kunst, also Video- und Multimedia-Arbeiten bereits von der Steuer absetzbar sind? Oder dass die Absetzung von Kunst bereits tägliche Realität ist, allerdings nur dann real hält, solange keine Steuerprüfung stattfindet? Oder meint Obolus, dass Unternehmen Kunst jederzeit absetzen können, wenn sie diese nicht als Kunst, sondern als Anlagevermögen unterbringen, indem sie beispielsweise eine Skulptur von Hrdlicka als Hutablage verwenden?
Nach ausführlicher Diskussion dieser Fragen kam das Präsidium der IG Galerien zu einem solomanischen Urteil indem man die Frage auf den Punkt brachte: Worin unterscheidet sich eine Galerie von einer Werbeagentur? Beide vermarkten Ideen und die mehr oder weniger gelungene Realisierung von Ideen. Galeristen sollten einfach ihre Ideen höher bewerten, so wie Agenturen ihre Ideen als Consulting teuer verkaufen. Wer soll uns denn daran hindern, für die Beratung, wo eine Skulptur im Unternehmen stehen soll oder wo ein bzw. kein Bild hängen soll, 9.900,- Euro zu verlangen und für die Skulptur oder das Bild selbst 100 Euro? Worauf also warten wir noch? Obolus hat uns die einfache Wahrheit aufgetischt: Die Absetzbarkeit der Kunst ist bereits Realität, außer wir stellen Rechnungen für real existierende Kunstwerke.
Wiener Kunsthefte, September 2002