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Essay der Autorin und Künstlerin Tatyana von Leys

 

"Nous sommes en guerre" - " wir sind im Krieg", verkündete Macron zu Beginn der Krise.

Der Feind ist unsichtbar und die Ausmaße seiner Verwüstung noch nicht absehbar. Wie viele Menschen schon erkrankt sind, wie viele noch sterben werden, wann der Impfstoff auf den Markt kommt, beschäftigt die ganze Gesellschaft. Trotz zahlreicher Fragen, gibt es keine verbindlichen Antworten. Vor den Viren sind wir alle gleich, wir sind der Wirt, der sich anbietet um eine Vermehrung zu ermöglichen. Abgesehen von zahlreichen Vermutungen und Verschwörungstheorien, wird vor allem jene zutreffen, die besagt, dass China wertvolle Zeit verstreichen ließ und bewusst vertuschte.
Wie dem auch sei, bringt nun der zerbrechliche Erfolg im Umgang mit Covid19 die ersten Lockerungen. Berufs- und Gesellschaftsleben beginnen auf kleiner Flamme anzulaufen, während weltweit in Forschungslabors ein Wettlauf nach dem Impfstoff begonnen hat.

Wie so oft in der Geschichte lohnt es sich, bei tiefgreifenden Geschehnissen, innezuhalten und zu überlegen. Wie beim Schachspiel, wo Läufer, König, Bauer, Turm, Pferd und Dame sich in Hierarchien und Machtstrategien aufteilen, verhält es sich mit der Gesellschaft. Das Fußvolk, beim Schach durch die Bauern vertreten, sind in Masse vorhanden. Die Dominanz, gekennzeichnet durch Türme, Pferde und Läufer, der König und seine engsten Berater, die Dame, von zentraler Bedeutung. Sie sind in der Mitte der umliegenden Truppen positioniert. Ganz eindeutig geht es in dem Spiel um Unterwerfung. Das Schach ist wie das Leben selbst, ein Theater, eine Bühne mit Eröffnung, Mittelspiel und Endspiel, das meist mit dem Tod des Königs endet.
Wo stehen wir jetzt und wer in diesem Spiel ist der König?

 

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Die kollektive Lähmung hat uns in eine Schockstarre versetzt. Plötzlich ist alles anders. Die großen Probleme wie Klimawandel, Flüchtlingselend, Terror und Krieg, die sonst unsere Bildschirme fluten, sind in den Hintergrund getreten. Auf allen großen Sendern werden wir 24x7 mit den entsetzlichen Ausmaßen der Pandemie konfrontiert. Grenzen waren und sind zum großen Teil noch abgeriegelt, Schulen geschlossen, Veranstaltungen verboten, Kurzarbeit eingeführt, mit einem Wort, alle Bereiche heruntergefahren.
Auf der einen Seite ein noch nie dagewesener Stillstand, auf der anderen eine Beschleunigung exponentieller Größenordnung.
Telearbeit und Home-Office sind zur Selbstverständlichkeit geworden. Dies wird sich wie ein gesellschaftliches Mantra auswirken und die digitale Transformation voran treiben. Auch Restaurants und andere Lokale setzen auf Lieferdienste und Take-away-Angebote, um weiterhin Einnahmen zu generieren. So werden sich On-Demand-Lieferungen vermehrt durchsetzen.
Die On-Demand-Transformation war schon immer ein wichtiger Teil der digitalen Arbeitswelt. Virtuelle Veranstaltungen werden sich wie selbstverständlich ergeben: Ausstellungs- oder Museumsrundgänge, Lesungen, virtuelle Diskussionsrunden und auch der Trend zu virtuellen Universitäten, ihrem Wesen nach global, wie sie Rosi Braidotti, eine der größten posthumanen Denkerinnen in ihre Vorträgen und Büchern beschreibt.

Wir erleben gerade einen historischen Moment, wo sich hinter den offensichtlichen Geschehnissen, etwas neues formt, eine Formung, die wir wohl schon lange erahnten.
China hat es uns vorgemacht. Als in Wuhan das Virus ausbrach wurden die ohnehin schon starken Maßnahmen zur Überwachung der Bevölkerung verstärkt. China hat ein flächendeckendes Kameranetz angebracht nebst anderen Möglichkeiten, um die Verbreitung des Virus einzudämmen.
Den Berichten zu Folge ist das auch hervorragend gelungen: keine Neuinfektionen in China.
Ab kommendem Jahr sollen 1,4 Milliarden Menschen in China mit einem riesigen Bewertungssystem konfrontiert werden. (Social-Credit-System) Für die Berechnung wird eine gewaltige Masse an Daten erfasst und jeder Bewohner bis ins kleinste durchleuchtet. Von der Zahlungsmoral bis hin zum Freundeskreis, Kommunikations- und Sozialverhalten im allgemeinen, digitales Surfen, Strafregister, kein Bereich, den die Bewertung ausklammern würde.
Wer sich gemäß den Anordnungen verhält, wird belohnt, Regelverstöße werden bestraft.

 

Biopolitik und Biomacht

Wenn ein Staat den menschlichen Körper immer stärker kontrolliert, kommen Begriffe wie "Biopolitik und Biomacht" ins Spiel. Damit Philosophen wie Foucault, Deleuze, Guattari, Agamben und Anton Negri, die sich dieser Begriffe angenommen, analysiert und weiter gedacht haben. Foucault zeigt, wie sich Politik und Leben durch ihr historisches Aufeinandertreffen transformieren. Foucault (1977) spricht von einer "Macht zum Leben", die sich aus zwei Bereichen zusammensetzt: zum einen den Bereich der Disziplinierung des Körpers und zum anderen zur Regulierung der Bevölkerung. Bei der Disziplinierung des Körpers handelt es sich um das einzelne Individuum, wobei der "Körper als Maschine" angesehen wird.
Im zweiten Bereich geht es um die Regulierung der Bevölkerung.
Die Biopolitik reguliert und kontrolliert die Bevölkerung, wobei auf das einzelne Individuum geachtet und die Unterwerfung des Körpers gefordert wird. Beide Bereiche gemeinsam bilden die Bio-Macht. Hinter den Geschehnissen um uns lässt sich erkennen, dass die Grenzen zwischen organischer und digitaler Welt sich aufzulösen beginnen. In der Tat, die Corona-Krise wirkt wie ein Katalysator auf dem Weg zur vollkommenen Technisierung und damit zur Beschleunigung des Transhumanismus.
Algorithmen bekommen in der Corona-Krise die Gelegenheit, menschliche Verhaltensmuster zu sammeln und zu analysieren. Mit ihnen scheinen organisatorische und staatliche Hoffnungen auf eine bessere Umsetzung von Ordnungs-, Sicherheits- und Kontrollbestrebungen verbunden zu sein. Unsicherheit, Komplexität und Risiken sollen so berechenbarer gemacht werden. So gesehen, ist der Ausnahmezustand ein gefundenes Fressen für Algorithmen. Was die soziale Physik der Algorithmen mit uns macht, ist vorhersehbar.
Was viele von uns schockieren mag, sind die weiteren Maßnahmen, wie Tracking- oder Tracing-Apps, die Vermessung der Gesundheitsdaten, usw.

 

Transhumanismus

Schon der Gründungsdirektor der UNESCO und Begründer der Bewegung des Transhumanismus, Julian Huxley (1887 - 1975), ging davon aus, dass neueste Techniken zur menschlichen Weiterentwicklung nötig sind, um den nächsten Schritt in der Evolution zu vollziehen. Transhumanisten streben in erster Linie ein gutes Leben an: wenn wir gesünder, liebevoller, glücklicher und schöner sein könnten, in einem Wort göttlich, wäre unser Leben und unsere Gemeinschaft eine andere.
Nun sind wir an einem entscheidenden Punkt der Geschichte. Leben soll erschaffen und verändert werden, Organisches mit Künstlichem verschmelzen. Es geht um die Überwindung des Menschen, des Human-Animals, das durch Technik und künstliche Intelligenz aufgerüstet ein Überleben der Menschheit garantieren soll. Wenn schon nicht auf unserem Planeten, dann irgendwo in den Weiten des Universums.
Geht es nach Ray Kurzweil, Chefingenieur von Google, können wir spätestens in 20 bis 30 Jahren mit der technologischen Singularität rechnen. KI (Künstliche Intelligenz) würde sich ab dem Zeitpunkt der Singularität selbst weiter entwickeln und optimieren. Sie markiert den Punkt eines Takeoffs der rekursiven Selbstoptimierung und wir hätten die irdisch-organische Körpergrenze gesprengt. Unser Geist wäre auf einen unverwüstlichen Maschinenkörper übertragen oder wie man so schön sagt, upgeloadet. So würde der Geist als Software in der Cloud weiterleben und von der biologischen Uhr ausgeschlossen sein.
Nick Bostrom, schwedischer Philosoph an der University of Oxford, bekannt durch seine Forschungen und Veröffentlichungen auf den Gebieten der Bioethik und der Technikfolgenabschätzung, rückt dieses Geschehen ebenso in den Bereich des Möglichen. Das Argument, dass es sich dabei um Spinner handelt, die sich in Phantastereien verwickeln, ist somit hinfällig.

Dieser kühnen Idee hängen jedoch längst nicht alle Transhumanisten an. Stefan Lorenz Sorgner, der Experte in Sachen Trans- und Posthumanismus, Professor für Philosophie an der John Cabot University in Rom, Autor, Herausgeber des Journal of Posthuman Studies, findet die Idee unsere Persönlichkeit auf eine Festplatte laden zu können, für höchst unplausibel. Wesentlich vielversprechender als die Verlagerung der Persönlichkeit auf einen Computer erscheint ihm die Integration des Computers in den Körper, dessen Entwicklung wir seit Jahrzehnten beobachten können.

Die Methoden der technischen Optimierung des Menschen, zusammengefasst unter dem Label "Human Enhancement" werden uns in allen Bereichen unseres Seins unterstützen, sofern wir in der Lage sind, sie finanziell bedienen zu können.

Die Gefahr, dass das Transzendenzversprechen in einem total berechenbaren, manipulierbaren und steuerbaren Individuum enden könnte, ist groß.
Befürworter des Transhumanismus argumentieren, dass soziale Gräben überbrückt werden, wenn das Alter hinausgezögert, Krankheiten und Behinderungen uns nicht mehr peinigen, wären alle Menschen sozial gleich gestellt.
Kritische Stimmen sehen das anders. Technische Verbesserungen sind teuer und doch nur einer bestimmten Schicht vorbehalten.
Fest steht, dass die zu erwartende technische Umwälzung zu neuen Herrschaftsmodellen führt. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari warnt, dass sich die Gesellschaft durch die neue Technologie in Götter und Nutzlose spaltet.

 

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Der König ist tot - es lebe der König!

Die Corona -Pandemie führt zu einer noch nie da gewesenen Prüfung der Existenz- und Überlebensfähigkeit aller Unternehmen, Familien und Einzelkämpfern. Sie betrifft alle Bereiche unseres wirtschaftlichen, politischen, sozialen und persönlichen Lebens.
Sie accelleriert neue Machtverhältnisse und spielt dem Staat neue Befugnisse in die Hand. Im Zuge der Pandemie werden Grundrechte massiv eingeschränkt und die Mehrheit fragt sich, ob die aktuellen Maßnahmen gerechtfertigt sind. Auch wenn man uns verspricht, dass es sich um temporäre Entscheidungen handelt, blicken wir skeptisch in die Zukunft.
"Wenn wir nur schon die Impfung hätten, um diesen Alptraum zu beenden!", ruft die eine Seite, die andere fühlt sich bevormundet und befürchtet die schlimmsten Auswirkungen auf die Gesundheit.
Das Wettrennen um den Corona-Impfstoff ist in vollem Gange. Die erste klinische Studie für einen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 startete im März 2020 in den USA, inzwischen werden von allen Seiten kleinere und größere Erfolge gemeldet. Stolpersteine auf dem Weg bis zum endgültigen Ergebnis sind vorherbestimmt. Bis eine wirksame Massenimpfung auf den Markt kommt, die allen Prüfungen standhält, wird es wohl noch dauern. Fachleute rechnen frühestens im September oder Oktober 2020 mit dem heiß ersehnten Stoff, der dann für alle Menschen zur Pflicht werden wird.

 

Spekulativ gedacht: Nach harten Kämpfen, mit Anarchie und Gewalt verbunden, wird sich die Überwachung zentraler Körpervorgänge mittels RFID-Chips ganz selbstverständlich anfühlen.
Die Digitalisierung aller Gegenstände in der Welt wird zu einem Aufschwung führen, sagen Transhumanisten wie Stefan Lorenz Sorgner. Tisch, Stuhl und Milchkanne werden ihren spezifischen RFID-Chip bekommen. Interaktionen zwischen dem Internet der Dinge und dem des Körpers werden möglich sein. Dies kann als weitere Cyborgisierung des menschlichen Körpers gesehen werden. Eine ständige Überwachung des einzelnen und der Gesellschaft geht damit einher. Was man vorausschauende Instandhaltung bei Maschinen nennt, könnte in gleicher Weise auf den Menschen wirken: Teile des menschlichen Körpers könnten ersetzt werden, ehe sie kaputt gehen.
So könnte es gut sein, dass wir in absehbarer Zeit mit der Entstehung des genetisch neuen und implantierten Menschen rechnen dürfen.

Das Social-Credit-System, wie es in Kürze in China eingeführt wird, würde auch bei uns die Dinge beschleunigen. So spricht sich Stefan Lorenz Sorgner für ein EU-Social-Credit-System aus. Sorgner warnt, dass wir, die wir so großen Wert auf Privatheit legen, bald nicht mehr die nötigen Daten haben, um wirtschaftlich im globalen Wettstreit zu bestehen. Ein Abstieg der Mittelklasse, innere Konflikte, Unruhen und Bürgerkriege wären die Folgen, weil wir den Fokus nicht auf die neuesten Techniken richten, wie es in ostasiatischen Ländern der Fall ist.

Zur Beschleunigung der technischen Aufrüstung dient auch der Mobilfunkstandard 5 G. Durch 5G werden Smart Cities zur Realität. Das große Versprechen liegt im Verbessern der Lebensqualität der Bewohner, bei gleichzeitiger Schonung der Umwelt, Garantie von Nachhaltigkeit und Effizienz inbegriffen. Alle Fahrzeuge kommunizieren untereinander. Die perfekte Schaltung von Ampeln und Straßenschildern versprechen ein intelligentes Verkehrsnetz, ganz ohne Staus und Unfälle.
Doch ohne upgegradeten, also technisch verbesserten Menschen, wird eine Smart City nicht möglich sein.

Die Vernetzung von Transhumanismus, Technik und digitalem Kapitalismus zeigt uns, dass alle Forschungen am Körper innerhalb von Machtverhältnissen stattfinden und seit rund 200 Jahren dem kapitalistischen Prinzip der Profitmaximierung und Beschleunigung dienen. Aus Perspektive des Kapitals sind Menschen und ihr Körper reine Objekte der Ausbeutung.

Wir alle müssen Kompetenzen in Politik, Technik und Wissenschaft erwerben, um mitreden zu können. Vielleicht gelingt es uns dadurch, eine neue Metaphysik des Sozialen zu etablieren, die uns allen hilft, den nächsten Schritt in der Evolution erfolgreich zu gehen.

Persönliche Bemerkung: Sowohl in der Malerei, als auch in meinen Studien zu Trans- und Posthumanismus lässt sich mein Konzept am besten mit dem einer teilnehmende Beobachterin beschreiben.

Tatyana von Leys
Sonnenbichlweg 14

83707 Bad Wiessee

Mobil: 0172-8612552
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Autorin des Buches: Das kleine Buch zum neuen Denken / Technik und Macht ist Evolution neu gedacht ISBN 978-3-7460-5451-3 (Der lange Weg des Transhumanismus)

Bad Wiessee, am 03.05.2020

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