"Die Kunst, so befindet Rauterberg, sei längst zurück in einem vormodernen Zeitalter, in dem der 'postautonome' Auftragskünstler die Szene dominiere. Seine Auftraggeber: Konzerne, Galerien, Kuratoren, Großsammler und die sogenannte öffentliche Hand, deren elitäre Vergabebeiräte undemokratische Förderentscheidungen träfen. Ästhetisch hätten die neuen Abhängigkeiten schnurstracks in Banalität oder bequeme Unverständlichkeit geführt", schreibt derStandard.at.
Hanno Rauterberg Erschienen: 08.06.2015 |
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Einleitend konstatiert Hanno Rauterberg: „Eine neue Epoche beginnt und die Idee der Kunst wird verwandelt“ (S. 7). Mehrfach bemüht sich der Autor seine Intention offen zu legen:
„Ausgedient hat die Vorstellung vom heroischen Schöpfer, … Damit aber, so will dieser Essay zeigen, setzt eine Neubestimmung ein...“ (S. 8).
„Was aber passiert, so möchte dieser Essay fragen, wenn die alten Wertvorstellungen nicht mehr verfangen,...“ (S. 9).
„Nun, im Zeichen der Postautonomie, fallen viele gültigte Trennlinien: … die Ausnahme und die Regel finden zusammen und in der Folge durchlebt die Kunst eine Phase der Normalisierung. Sie suspendiert ihre bislang so hoch geschätzte Freiheit“ (S. 10).
Letztlich „geht es darum, den Blick zu weiten und das Kunstsystem zu befragen: als ein System der Werte" (S. 11).
Die beiden Begriffe „Postautonomie“ und „Normalisierung“ sind die Basis zum Verständnis von Rauterbergs Analyse und Kritik „der“ Kunstwelt. Demnach wurde der Künstler, für den Freiheit und die Unabhängigkeit seiner Ideen noch im 20. Jahrhundert das höchste Ideal und somit Maxime seiner Ethik waren, nun, in der „Postautonomie“, zum Auftragnehmer – und zwar von Sammlern, Museen, Galerien, Kuratoren, öffentlichen Institutionen und privaten Unternehmen. Die „Normalisierung“ findet in zwei Richtungen statt: Einerseits instrumentalisieren Auftraggeber den immer noch existierenden Mythos und das Image der Künstler für die eigene Marke und das eigene Marketing, anderseits nehmen die Künstler kritiklos die Wünsche der Auftraggeber entgegen und verspielen so immer mehr von ihrer Freiheit und Einzigartigkeit.
Rauterberg meint, in der Person „des“ Künstlers „manifestiert sich die Souveränität eines Subjekts, das nicht länger über seine Hervorbringungen definiert ist, nicht pimär über das Tun, sondern vor allem über das Sein. Entscheidend ist am Ende der klangvolle Name des Künstlers. Er bewirtschaftet sein eigenes Image, und dieses Image legt sich über die von ihm vertriebenen Werke.“ (S. 53)
Soweit Rauterberg den Status quo beschreibt (2. Teil des Zitates), und das macht er als journalistisch geschulter Beobachter hervorragend, kann ich ihm zustimmen. Wo er aber philosophische Begriffe schludrig verwendet, schadet er seinen in der Einleitung selbst gesetzten Zielen.
Im konkreten Fall (1. Teil des Zitates) verwechselt der Essayist das Sein mit dem Seienden bzw. dem Dasein. Das Image des Erfolg habenden (= erfolgreich seienden) Künstlers konstituiert sich nicht aus seinem Sein (= Wesen), sondern ist ein Aspekt seines Daseins. Dass sich ein menschliches Subjekt (und somit auch ein Künstler) über sein Sein und nicht über sein Tun definiert, ist hingegen eine philosophische Binsenwahreit. Im Übrigen meint Rauterberg, wenn er über „den“ Künstler schreibt, ausnahmslos den erfolgreichen Künstler, und betrachtet damit eine winzige Minderheit als wesenhaften Typus, als Künstler an sich. Damit relativiert und konterkariert er seine eigene moralische Empörung, der er einleitend Luft verschafft hat: „Warum protestiert niemand gegen die obszöne Armut vieler Künstler?“ (S. 21)
Nicht viele, sondern die Mehrheit der Künstler ist obszön arm, und das liegt unter anderem daran, dass ihre Kunst-Werke, mangels Image (mangels Relevanz für die marktdominierenden Player) in Leitmedien wie „Die Zeit“, für die Rauterberg regelmäßig schreibt, nicht vorkommen. Anders gesagt: die große, dank Internet längst nicht mehr schweigende, aber von Leitmedien mehr denn je totgeschwiegene Mehrheit der Künstler ist obszön arm. Warum das so ist, hat Rauterberg nicht erklärt. Was nicht weiter verwundert, denn in seiner „Ethik der Ästhetik“ tauchte diese Frage gar nicht auf.
Ziemlich breit wälzt Rauterberg dagegen das Verhältnis zwischen Auftragnehmer und der Macht der meist privaten Auftraggeber aus. „Der Künstler ist wieder Auftragnehmer und die Macht macht, was sie will“, bringt der Autor sein Kapitel über „Unfreiheit und Unmoral“ prägnant auf den Punkt. Er beschreibt in dutzenden Beispielen wie sich „der“ Künstler verkauft und anbiedert. Und das macht Rauterberg als journalistisch geschulter Beobachter hervorragend. Auch „die Ideologie der Expansion“ von Museen und Sammlungen nimmt er kritisch ins Visier: „Eine Ästhetik des Mehr-und-immer-mehr wird durchzogen von ethischen Maximen, die das Gute im Großen suchen, im Anhäufen, Beschleunigen, in einer machtvollen Außenwirksamkeit. Es sind diese Maximen, die weite Teile der Kunstwelt bestimmen.“ (S. 96)
Hier irrt Rauterberg in einem kleinen Detail: dominante und dominierende Teile „der“ Kunstwelt setzen auf die zitierte Maxime, während weite Teile der Kunstwelt gar nie in die Nähe eines Auftraggebers vom Kaliber der Luxusartikel- und Kunstmuseumsproduzenten Pinault und Arnauld gelangen, und daher auch nicht in die Näher ihrer Abhängigkeit. Die Machenschaften der Kunstwelt (genauer gesagt: dieses Segmentes der Kunstwelt) stellt Rauterberg durchaus kritisch in Frage. Aber natürlich würde Rauterberg in seiner ästhetisierenden Schreibweise niemals von „Machenschaften“ sprechen.
„Der“ Künstler, „der“ Auftraggeber, „die“ Kunstwelt – das sind im Wahrnehmungshorizont des Autors ausschließlich die erfolgreichen, und dadurch „nobiliertern“ Player. Die breite Masse der erfolglosen Künstler, aber auch Galeristen und Kuratoren – und aus dieser Sicht auch erfolglosen Sammler, erfolglos deshalb, weil sie die Aufmerksamkeitsschwelle in die Leitmedien niemals überschreiten – kommen bei Rauterberg nicht vor. Nicht in seiner Wahrnehmung, nicht in seiner Analyse und daher auch nicht in seinen ethischen Schlussfolgerungen.
So bleibt das letzte Kapitel „Ethik und Erneuerung“ entsprechend blass und blutlos. Wohl bemerkt er: „Oft begeben sich die Künstler ins Unscheinbare und entsprechend wird über sie kaum berichtet; selten finden ihre Initiativen in den etablierten Sphären der Kunstwelt ein Echo“ (S. 168). Doch obwohl Rauterberg ausführlich über soziale Kunst schreibt, die Streetart als Beispiel betrachtet die Kunst „vom Unikatcharakter zu lösen“ (S. 196), und ganz nebenei empfiehlt „eine andere, die üblichen Handelswege umgehende Form der Kooperation zu ersinnen“ (S. 197), so braucht er letztlich wieder eine „Nobilitierung“ (das dritte Schlüsselwort in Rauterbergs Essay), um seine Thesen zu bestätigen: „Einige Hundert Projekte wurden bereits realisiert, auch mithilfe namhafter Künstler wie Rémy Zaugg oder Erwin Wurm“ (S. 198).
Die Einschätzung, dass „einige Hundert“ Projekte bereits abseits der von Rauterberg ausführlich beschriebenen Abhängigkeitsverhältnisse existieren, ist nicht nur ein quantitativer Irrtum, sondern ein substanzieller. Tatsächlich sind es nämlich hunderttausende Projekte und Einzelaktivitäten hunderttausender Künstler, Galeristen und Kunstfreunde, die in ganz anderen Bahnen verlaufen, als sie Rauterberg in seinem Modell der postautonomen Kunstwelt skizziert hat, in der Auftraggeber und Auftragnehmer idealtypisch immer zusammen finden. Im realen Leben der „obszönen Armut“ herrscht nämlich die Regel, dass Auftragnehmer keinen Auftraggeber finden. Von einem „guten Leben“ können die meisten nur träumen.
So bleibt Rauterberg in letzer Konsequenz schwammig: „Was das gute Leben sei, für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft, kann die Kunst nicht wissen“ (S. 201) Erinnern wir uns an Rauterbergs Einleitung: „... wofür die Kunst einsteht, was sie für ein gutes, gelingendes Leben bedeuten kann -, könnte jetzt, im postautonomen Zeitalter neu beantwortet werden“ (S. 10). Könnte, wenn man denn nicht nur die Spitze der Pyramide, das sind die besonders marktkonformen und eben deshalb besonders erfolgreichen (d.h. in der Diktion Rauterbergs „normalisierten“) Künstler, betrachten würde, sondern alle Ebenen „der“ Kunstwelt.
Otto Geberzahn (via facebook am 24.11.15) Das Buch habe ich vor einiger Zeit durchgelesen und habe es am Ende frustriert weg gelegt, weil es - wie Hubert Thurnhofer richtig bemwerkt - sehr schwammig bleibt. Es ist eigentlich nur "klassisches Feuilleton" für das bildungsbürgerliche Ledersofa. Das "Kunst Hassen" Buch von Nicole Zepter habe ich dagegen mit sehr großem Vergnügen gelesen, weil die Autorin sich nicht scheut, gängige Betrachtungsweisen in Frage zu stellen.