Jubelmeldungen der Auktionshäuser über Weltrekordpreise und PR-Artikel der Museen über Weltstars der Kunst gelangen meist ungefiltert in die Medien. Diese werden damit zum Verstärker des Mainstreams. Klassische Kunstkritik ist indessen fast ausgestorben meint der Galerist und Autor Hubert Thurnhofer, der in seinem Buch „Die Kunstmarkt-Formel“ eine kritische Vermessung der Kunst vorgelegt hat. medianet (Ausgabe 13.-15. März 2015) bringt Auszüge.
„Kann mir eigentlich irgendjemand sagen, warum die mittlerweile dritte Verheiratung des Albertina-Direktors mit seiner deutlich jüngeren Fitness-Trainerin so ein Weltereignis ist, dass man dem jetzt schon seit zwei Tagen nicht entkommt? Ich weiß darüber jetzt alles, was ich nie wissen wollte.“ Diese Frage stellte Martina Salomon kürzlich ihren facebook-Freunden. Die stellvertretende Chefredakteurin des Kurier müsste die Antwort eigentlich kennen: das Mediensystem wird offenbar von Selektionsmechanismen beherrscht, die stärker sind als die Intelligenz der Medienmacher.
Zu den wichtigsten Selektionskriterien zählen Promi-Faktor und Sensations-Faktor. Die Medien richten sich an den großen Playern aus, und die großen Player (Museen) bringen immer mehr von immer weniger. Kritische Ausstellungsberichte im ursprünglichen Sinne des Wortes werden immer seltener, die Kritiker haben sich de facto selbst entmündigt. Medien können heute einen Künstler nicht mehr „machen“, aber die Anzahl der Berichte können als Maßstab für die Bekanntheit eines Künstlers dienen. Mir ist in über 20 Jahren, die ich im Kunstmarkt tätig bin, kein Fall bekannt geworden, bei dem ein Künstler durch den Einfluss eines Kritikers oder durch einen Bericht in einem einflussreichen Medium den Durchbruch im Markt geschafft oder zumindest die ihm gebührende Anerkennung gefunden hätte.
Die Macht des Kapitals
Die heiligen Hallen der Kunst weichen bzw. folgen heutzutage sehr oft den Interessen finanzkräftiger Marktteilnehmer, wie der ehemalige Eigentümer der Viennafair (neu: viennacontemporary), Dmitry Aksenov, beweist. Obwohl seit Jahrzehnten der Verein Freunde der Albertina das Museum unterstützt, gründete der russische Investor Aksenev bei seinem Markteintritt in Österreich einen eigenen russischen Freundschaftsverein. Umgehend schickte er Direktor Klaus Albrecht Schröder auf die Viennafair „auf Einkaufstour … Die russischen Freunde der Albertina haben die ersten Ankäufe des Kunstmuseums ermöglicht“, berichtet oe24.at. Angesichts solcher Entwicklungen stellt sich die Frage nach der Objektivität und Wissenschaftlichkeit der Museumsarbeit.
Der Fälscher Wolfgang Beltracchi spielte genial mit den Erwartungen der Kunstwelt, die heute mehr denn je Nachschub an „Spitzenwerken“ verlangt. Nach eigenen Angaben hat Beltracchi rund 300 Werke von über 50 Künstlern der Klassischen Moderne nachempfunden, viele davon hängen immer noch in renommierten Privatsammlungen und Museen. Lediglich für 14 Fälschungen wurde er verurteilt.
Was ist schlimmer:
die Täuschung, das gelungene Gemälde „Akt mit Katze“, eine Beltracchi-Fälschung, die 2007 in der Albertina ausgestellt war, als „Max Pechstein“ zu bezeichnen,
oder:
die Täuschung, unbeschreiblich schlechte Tinten-Zeichnungen von Erwin Wurm, die in der Albertina 2012/13 ausgestellt waren, als Kunst, die „radikal und schonungslos“ sei, zu bezeichnen?
„Medienübergreifend konfrontiert Wurm die reale und ungeschönte Erscheinung des alternden männlichen Körpers im 21. Jahrhundert mit der aus dem Geist der Verinnerlichung und Askese resultierenden Körpersprache der Gotik“, so die Albertina in ihrer offiziellen Presseinfo zur Wurm-Ausstellung. Mit dem „Geist der Verinnerlichung“ wird hier ein Künstler mystifiziert, und nicht weniger als die Gotik muss dafür herhalten, seine „medienübergreifenden“ Werke zu kanonisieren. Um Missverständnissen vorzubeugen: ich beurteile hier nicht die Ausstellung als Ganzes, auch nicht das gesamte Œuvre des Künstlers, in dem sich jede Menge originärer Werke finden, sondern nur zwei Zeichnungen, die die Albertina für museumsreif hält und in der Bewerbung der Ausstellung extra hervorgehoben hat.
Ich kritisiere die völlige Kritiklosigkeit, nein Kritik-Unfähigkeit eines Apparates, der Werke eines vielseitigen Künstlers, aber völlig untalentierten Zeichners zur Ausstellung bringt und diese damit auf eine Stufe mit dem Schaffen eines Albrecht Dürer stellt, dessen Meisterwerke in der Albertina leider viel zu selten ausgestellt werden! Das ist, weil es unter dem Mantel der musealen Objektivität, Unabhängigkeit und Wissenschaftlichkeit passiert, schlimmer, als ein malerisches Ausnahmetalent dafür einzusetzen, Pechstein und andere Künstler der Klassischen Moderne nachzuempfinden, was per se ein höchst sensibler Prozess ist, der vielen gehypten Machwerken, die im Kunstmarkt kursieren, fehlt. Auf Beltracchi und seine Autobiografie angesprochen reagiert der düpierte Direktor der Albertina gewohnt herablassend und selbstgefällig, „diese Automythologie sei für den Psychologen sicher ergiebiger als für den Kunsthistoriker“. Mit Mythologien und Mystifizierungen kennt sich Klaus Albrecht Schröder ja aus (in der Oskar-Kokoschka-Preis-Jury darf er zur Mystifizierung der Preisträger beitragen).
Künstlerscheiße zum Goldpreis
Die Wurm-Zeichnungen in der Albertina sind keine Ausnahme, sondern typisch für unsere Zeit, in der nicht mehr einzelne Kunstwerke einer Kritik unterzogen werden, sondern prinzipiell kritiklos hochgejubelt wird, was ein namhafter Künstler fabriziert hat. Als Piero Manzoni (1933–1963) seine eigene Scheiße in Konserven abfüllte und als „Künstlerscheiße“ (merda d’artista) zum Goldpreis verkaufte, war das im Jahr 1961 nicht nur eine Provokation, sondern auch eine prophetische Vorahnung über die Entwicklung des Kunstmarktes. Künstlerscheiße ist heute Standardware in zahlreichen Ausstellungen.
Nun regt sich mehr und mehr der Unmut jener brotlosen Künstler, die nicht verstehen, warum Scheiße namhafter Künstler mehr wert sein soll als No-Name-Shit und sogar teurer ist als No-Name-Art. Wenn da ein Beltracchi „die Absurdität des Kunstmarktes entlarvt“ findet er nicht nur beim berühmt-berüchtigten Stammtisch Zustimmung, sondern auch beim aufgeklärten Kunstpublikum, „das Gefallen fand an diesem Hippie-Desperado, weil er die Kunstwelt narrte und ein System vorführte, in dem Millionen für Gemälde bezahlt werden, deren Echtheit nur schwer zu überprüfen ist, ein System, das erratische Entscheidungen darüber fällt, welche Kunst viel wert ist und welche nichts, und selbst gar nicht genau zu wissen scheint, was das eigentlich ist: Kunst.“
Der Fälscher als Verführer
Anfang 2014 veröffentlichten Wolfgang und Helene Beltracchi ihre Memoiren und lösten damit einen neuerlichen Medienhype aus. Pflichtbewusst erheben Journalisten mittlerweile ihren Zeigefinger. „Die unerträgliche Seichtigkeit der Leinwand“ polemisiert Rose-Maria Gropp in der FAZ. Und Hanno Rauterberg schulmeistert in der Zeit: „Beltracchi hat ja nicht nur ein paar reiche Kunstsammler um ihr Geld gebracht. Er hat nicht allein honorige Wissenschaftler wie Werner Spies hinters Licht geführt und ihren Ruf beschädigt. Er verfälschte auch die Kunstgeschichte.“ Ob Beltracchi den Ruf von Spies beschädigt hat, oder dieser Experte sich selbst disqualifizierte, indem er überdurchschnittlich hohe Honorare für seine Gutachten und sogar Erfolgsbeteiligungen verlangte, sei dahin gestellt.
Fakt ist, dass sich bis heute hunderte Eigentümer von Beltracchi-Fälschungen, die aufgrund der mittlerweile bestens bekannten Insignien der Fälschungen genau wissen, was an ihren Wänden hängt, nicht gemeldet haben. Die Scham aufzufliegen ist offenbar größer als die Möglichkeit einen Schadenersatz zu bekommen. Helene Beltracchi sieht in der Moral der Betrüger das komplementäre Gegenstück zur Gier der Kunden: „Du betrügst zwar, aber es gibt doch gar keine richtigen Opfer. Die Gemälde waren meist reine Spekulationsobjekte auf einem überdrehten Markt, gehandelt von Unternehmen mit Sitz in irgendwelchen Steuerparadiesen. Damit haben wir unser Gewissen beschwichtigt. Aber: Natürlich war mein Mann seinerzeit stolz auf die Qualität seiner Bilder, er hat es genossen, von der Witwe Max Ernsts über sein Bild Foret zu hören, das sei das beste Bild ihres Mannes“.
Hubert Thurnhofer
Die Kunstmarkt-Formel
ISBN 978-3-7357-7052-3
Print: 19,90 Euro, E-book: 10,99 Euro
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