Wie ist der Künstler Ernst Zdrahal einzuordnen? Er ist zunächst ein politischer Künstler. Politische Kunst ist ja Ende der 1980er Jahre außer Mode geraten. Das hat wahrscheinlich auch mit dem Ende der politischen Fronten zwischen Ost und West, sowie Links und Rechts zu tun. Politisch steht Zdrahal jenseit von Links und Rechts, wie beispielsweise im Bild „Alpenterrasse“, das gleichzeitig eine ironische und eine gesellschaftskritische Note hat. Ebenso sind Zdrahals Illustrationen zu meinen Beiträgen zur Wirtschaftsethik, die seit einem Jahr in Die Bunte Zeitung erscheinen, politische Statements, in denen er manchmal auch das tagespolitische Geschehen reflektiert.
Zdrahal ist außerdem der erste barrierefreie Künstler. Er war schon lange barrierefrei, bevor Barrierefreiheit zum Schlagwort in der Architektur und im Internet geworden ist. Barrierefrei ist Zdrahal in Hinblick auf das Publikum, aber auch in Hinblick auf die Kunst. Das Bild „Infantin Margarita“ beispielsweise könnte jemanden an unendlich langweilige Schulexkursionen ins Kunsthistorische Museum erinnern. Oder an den viel lustigeren Geschichteunterricht – der vor allem deshalb so lustig war, weil wir da ungestört unter dem Pult unsere Micky-Maus-Hefte lesen konnten, während der Professor seine monotonen Vorlesungen hielt. Also sie sehen, der Betrachter bekommt von Zdrahal einen sehr breiten Interpretationsspielraum – je nach dem Grad der Traumatisierung, mit welchem er oder sie seinerzeit die Schule verlassen hat. Zdrahal ist aber auch barrierefrei in Hinblick auf die gesamte vergangene und gegenwärtige Kunstwelt. So führt er virtuelle Dialoge mit Künstlern wie Rembrand, Velazquez, de Chirico, Egger-Lienz oder Alfons Walde, um nur ein paar Ikonen der Kunstgeschichte zu nennen, deren Motive er aufgreift und in seine spezifische Formensprache übersetzt. Und er führt gleichzeitig handfeste Dialoge, ich will nicht sagen handfeste Auseinandersetzungen, mit Künstlerkollegen, bevorzugt KünstlerkollegInnen, mit denen er Gemeinschaftsarbeiten schafft. So ist dies die erste Personalausstellung eines Künstlers, bei der ein rundes Dutzend KünstlerInnen beteiligt sind.
Und nicht zuletzt – das war bislang noch nicht bekannt – ist Zdrahal ein Konzeptkünstler. Konzeptualismus ist ja de facto das Non plus ultra des zeitgenössischen Kunstgeschehens. Ich hab zwar noch nie einen Künstler getroffen, der kein Konzept hat, aber jene Künstler, die nur ein Konzept haben und sonst nichts, sind heutzutage besonders gefragt. Mit seinem Bild „Hubert Thurnhofer zeigt uns in seiner Galerie DER KUNSTRAUM seinen roten Punkte“ reiht sich Zdrahal in die Riege der subtilsten Konzeptualisten ein. Es stellt sich die Frage, wie korrespondieren die roten Punkte im Bild mit dem roten Punkt außerhalb des Bildes? Sind die roten Punkte bloß Gegenstand des Bildes, oder sind sie gleichzeitig Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes des Bildes? Das sind die Fragen, die ein Konzeptkünstler stellen muss. Und noch viel wichtiger: er muss Leute, Kunstkritiker und -wissenschaftler finden, die diese Fragen auch allen Ernstes beantworten.
Nun, die Frage der Punkte ist ja für den Kunstmarkt elementar, geradezu existenzbegründend. Ja, ohne rote Punkte würde es gar keinen Kunstmarkt geben! Es gibt aber auch noch andere Punkte, und deshalb hier eine kurze Exkursion in die Punktologie, die Lehre von den Punkten, oder streng wissenschaftlich: die Semiotik der Punkte.
Wie allgemein bekannt bedeutet der rote Punkt: verkauft. Oder aus der Sicht des Kunden: das nehm ich, komme was wolle, da fährt die Eisenbahn drüber. Daneben gibt es auch noch den grünen Punkt, der besagt: das würde ich gerne nehmen, aber ich muss zuerst meine Frau fragen! Das haben wir Männer im Allgemeinen und wir Galeristen im Besonderen nun davon, dass wir Jahrzehnte lang für die Emanzipation der Frauen gekämpft haben. Weiters gibt es die weißen Punkte. Man könnte sagen, die weißen Punkte symbolisieren die reine Begeisterung. Falsch! Die weißen Punkte sind die reine Begeisterung. Sie besagen: Wow, das ist super, aber leider kann ich mir das nicht leisten. Die weißen Punkte werden am häufigsten verwendet, nur leider hinterlassen sie keinerlei Spuren. Weißer Punkt auf weißer Wand - es macht nicht den geringsten Unterschied! Nur einmal – da hatte ich eine Ausstellung mit so vielen weißen Punkten übereinander, dass sie schon richtige Schatten auf die Bilder geworfen haben. Den ganzen Tag: wow, super! Es kann natürlich auch sein, dass die weißen Punkte existenzbedrohend werden – dann wenn einer einen weißen Punkt irrtümlich über einen roten Punkt klebt! Aber ich gebe zu, das sind Extremfälle, im Normalfall sind weiße Punkte völlig harmlos! Der Gegensatz zu weiß ist in der Semiotik der Punkte gelb. Kein kontradiktorischer Gegensatz aber ein konträrer. Gelb heißt: Super Bild, könnte ich mir auch locker leisten, aber ich weiß nicht, wo ich es aufhängen soll. Und schließlich gibt es auch noch die blauen Punkte. Blaue Kunden sagen: Phaa! Das nehm ich – und wenn ich wieder nüchtern bin, werde ich darüber nachdenken, ob ich es mir überhaupt leisten kann.
Soviel zur Semiotik der Punkte, die mittlerweile auch schon in Gebärdensprache übersetzt wurde. Schließlich braucht ein barrierefreier Künstler auch eine barrierefreie Galerie!
Fotos von der Vernissage siehe: artonline