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14.12.2009 - Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall und fünf Jahre nach der Orangen Revolution ist die sanfte Revolution in Österreich gelandet. Die Studenten proben den Aufstand – und erweisen sich dabei als basisdemokratische Musterschüler. Was kommt da auf die Wirtschaft zu?

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Die Unzufriedenheit mit übervollen Hörsälen hat zu Semesterbeginn das Fass zum Überlaufen gebracht. Am 22. Oktober besetzen Studenten nach einer Demonstration spontan das Audimax an der UNI Wien. Zwei Generationen nach den berühmten Achtundsechzigern distanzieren sich die Besetzer von ihren Vätern und Großvätern, namentlich von „nervig, dominanten Rednern wie Rudi Dutschke“ und rufen den „Audmimaxismus“ aus. „Der Audimaxismus verlangt ebenso wie die Proteste an den anderen Universitäten nach Partizipation von vielen, nach einer Multitude der Protestierenden, statt nach Leitfiguren, die Reden schwingen und die Aufmerksamkeit in ihrer Person zentrieren“, schreiben – charakteristischer Weise – namentlich ungenannte Autoren auf der Plattform www.unsereuni.at.

 

 

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Vom Autor der Rubrik WIRTSCHAFTSETHIK in der Unternehmerzeitschrift a3eco

 

 

Folgt auf die konsumorientierte Generation Golf und die angepasste Generation Praktikum nun eine aufmüpfige Generation Basisdemokratie? Während die Achtundsechziger Besitzlosigkeit und das Leben in der Kommune als Protest gegen das Establishment zelebrierten, kehrten ihre Kinder wieder zurück zu Konsum und Genuss. Markenartikel wurden plötzlich für eine breite Masse leistbar. Aber die Generation Golf profitierte auch davon, dass der Zugang zu Gymnasien und Universitäten frei gegeben wurde. Das brachte das Gespenst der „Akademikerschwemme“ auf den Plan, das seit den 1980er Jahren immer wieder in den Hörsälen auftaucht. Tatsächlich mussten viele Dottores der Generation Golf die Zeit bis zum Traumjob als Taxifahrer überbrücken. Für die Generation Praktikum ist es mittlerweile selbstverständlich, mehr oder weniger ohne Salär für gewinnorientierte Unternehmen zu arbeiten, bloß um irgendwie in der Arbeitswelt Fuß zu fassen. Das Praktikum wurde bisher aber kaum kritisch hinterfragt, sondern als unumgängliches Sprungbrett in die vollen Töpfe des Kapitalismus einfach hingenommen.

Die Generation Basisdemokratie, die nun ihr Wort erhebt, sieht – nach dem Zusammenbruch des etablierten kapitalistischen Systems – die Welt offenbar wieder kritischer. So ist es kein Zufall, dass beim Bildungsdialog am 25. November im Wiener Palais Kabelwerk Parolen wie „Bildung statt Banken – Menschen vor Profite“, „Reichensteuer statt Bildungs- und Sozialabbau“ oder „education is not for sale“ plakatiert wurden. Audimaxismus ist kein marxistischer Klassenkampf, sondern eine Auseinandersetzung mit den grundsätzlichen Zielen universitärer Bildung. Und diese kritische Diskussion stellt auch in Frage, ob sich UNIs nur an den Bedürfnissen der Wirtschaft ausrichten sollen, wie das für die Generation Praktikum selbstverständlich geworden ist.

Studentenvertreter, die beim offiziellen, von Wissenschaftsminister Johannes Hahn einberufenen „Dialog Hochschulpartnerschaft“ in der ehrwürdigen Aula der Wissenschaften teilgenommen hatten, berichteten eine Stunde später den Teilnehmern des Bildungsdialogs im Kabelwerk. Ihre Hauptkritik richtete sich dabei gegen die offiziellen Referenten in der Aula, die ausschließlich finanzielle Fragen in die Bildungsdebatte eingebracht hatten. „Wir Studierende wurden als Ware bezeichnet und die Bildung als Produkt“, berichtete ein Aula-Teilnehmer. Deshalb werden auch die fünf Arbeitskreise, die Minister Hahn als Ergebnis der Aula-Gespräche ins Leben gerufen hat, von den Studierenden skeptisch beurteilt: „Das ist kein Dialog. Es gibt keine Diskussion über die Fragen was ist Bildung, was ist UNI?“

Dass die Arbeitskreise mehr als eine Parallelaktion zur Bildungsdiskussion sein werden, ist nach den Erläuterungen von Wissenschaftsminister Hahn bei der Pressekonfernz im Anschluss an das Aula-Gespräch zu bezweifeln: „Der heutige Tag war der Auftakt einer intensiven Diskussionsphase, die in den nächsten Tagen beginnen wird. Es ist das gemeinsame Bedürfnis aller Arbeitskreise, dass wir im Juni 2010 zu einem Ergebnis kommen, zu einem breiten Konsens, in welcher Richtung sich der Tertiäre Sektor (inklusive Fachhochschulen und Privatuniversitäten) entwickeln soll.“ Nachsatz: „Die möglichste breite Empfehlung der Arbeitskreise an die Politik kann aber keine Verbindlichkeit für die Parteien haben, denn die Parteien sind frei die Schlussfolgerungen aus diesen Empfehlungen zu ziehen.“

Die Gewerkschaft hat sich pro forma („Wir sind immer auf Seiten der Protestierenden“) mit den Studierenden solidarisiert, womit sie kein Risiko eingeht, solange die Solidarität kostenlos ist. Es bleibt abzuwarten, wie lange es dauert bis durchsickert, dass sich die klassische Arbeitnehmervertretung neu orientiern muss angesichts der Tatsache, dass Bildung nicht allein der Ausbildung und damit nicht allein der Integration von Akademikern in die konventionellen Wirtschaftsprozesse dient. Und bei der Wirtschaft ist die aktuelle Bildungsdiskussion offenbar noch gar nicht richtig angekommen. Die Bunte Zeitung hat bei einer Umfrage unter zwölf Unternehmen auf die Frage „wieviele Akademiker braucht die Wirtschaft“ überhaupt nur von zwei Unternehmen spontan eine Antwort erhalten. Keine besonders tiefschürfenden Antworten, aber immerhin Antworten.

Elisabeth Grabenweger, die Sprecherin von Minister Johannes Hahn, liefert auf diese Frage allerdings eine überraschend klare Antwort: „Es ist das klare Ziel von Minister Hahn, die Zahl der Absolventinnen und Absolventen zu steigern, denn der Anteil jener Arbeitslosen, die lediglich über einen Pflichtschulabschluss verfügen, liegt (laut Statistik vom Oktober 2009) bei 45,2 Prozent, sprich: beinahe jede/r zweie Arbeitssuchende hat lediglich die Pflichtschule abgeschlossen. Hingegen liegt der Anteil der FH-Absolvent/innen an den Arbeitslosendaten bei 0,6 Prozent, Absolvent/innen einer Universität oder Hochschule haben einen Anteil von 3,6 Prozent. Es zeigt sich: Wissen schafft Arbeit!“

Bleibt zu hoffen, dass sich als Ergebnis der aktuellen Bildungsdiskussion und der verschiedenen Arbeitskreise die Überzeugung durchsetzt: Bildung schafft Freiheit, die notwendig ist, um neue Formen von Arbeit und demokratische Systeme der Wirtschaft zu finden!

 

Interview mit Thomas Wallerberger, Stellvertretender Vorsitzender der Bundesvertretung der Österreichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft

- Wie steht die ÖH zur spontanen Protestbewegung?

Positiv. Viele langjährige Forderungen der ÖH werden aktuell von Studierenden österreichweit formuliert.

- Was halten Sie für die wichtigsten Sofortmaßnahmen, um bessere Studienbedingungen zu schaffen?

Mehr Geld für die Hochschulen, mehr Personal, das in der Lehre tätig ist, mehr und bessere Infrastruktur, mehr Angebot von Seminaren und Laborplätzen. Die Schaffung von demokratischen Entscheidungsstrukturen auf den Hochschulen, eine grundsätzliche Debatte über Bildung und die Verbesserung der Arbeitssituation von Lehrenden.

- Welche Studienrichtungen sind besonders überlaufen - und warum?

Große Kapazitätsprobleme gibt es momentan in den wirtschaftswissenschaftlichen Studienrichtungen, Rechtswissenschaft, Kommunikationswissenschaften und Psychologie. Grund dafür ist unter anderem, dass angehende Studierende zu wenig über die vielfältigen Möglichkeiten eines Hochschulstudiums informiert werden und dementsprechend in die großen, bekannten Studienrichtungen drängen.

- Was müssen / können / sollen die Universitäten aus Ihrer Sicht leisten?

Universitäten müssen den Studierenden einerseits eine bestmögliche Ausbildung zukommen lassen, die sie dazu befähigt, im Berufsleben reussieren zu können. Andererseits bedeutet ein universitäres Studium genauso, zu lernen, sich kritisch mit seiner Umwelt auseinanderzusetzten und über die zu lernenden Inhalte und das Tempo, in dem das Studium absolviert werden soll, selbst zu entscheiden. Besonders letzteren Anspruch erfüllen die Universitäten immer weniger. Der Wert eine Studiums, egal ob Universität oder Fachhochschule, darf nicht einzig und allein über seine Berufsbefähigung und ökonomische Verwertbarkeit definiert werden.

- Wie ist die aktuelle Arbeitsmarktsituation für Studienabsolventen?

Hier gibt es momentan keine genaue Erhebungen, aktuell wird aber gerade eine dementsprechende Studie vom BMWF in Auftrag gegeben. Aus der Arbeitslosenstatistik zeigt sich, dass auch unter den AkademikerInnen die Arbeitslosigkeit krisenbedingt steigt, bloß sind in den AMS-Statistiken nur die gemeldeten Arbeitslosen aufgezeichnet, doch besonders die Phase nach Studienabschluss, die oft von unbezahlten Praktika geprägt ist, führt bei Neu-AkademikerInnen zu finanziellen Problemen.

 Die Bunte Zeitung 6/2009 (Dezember)

Illustration: Ernst Zdrahal

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