In Glasgow findet Anfang November der 26. UN-Klimagipfel statt. Schon bei der virtuellen Klimakonferenz von 40 Regierungschefs im April wurde klar, dass die Positionen weit auseinander liegen. Während die EU von ihren Mitgliedern "fit for 55" verlangt, d.h. der CO2-Ausstoß muss bis 2030 um 55 Prozent unter dem Wert des Jahres 1990 liegen, erklärt Chinas Staatschef Xi Jinping, sein Land werde 2030 mit der Reduktion der Schadstoffemissionen beginnen. China emittiert weltweit am meisten CO2. Mit Präsident Joe Biden ist die USA, hinter China der zweitgrößte CO2-Sünder, wieder "zurück in der Klima-Politik". Sein Vorgänger Trump ist bekanntlich aus der Pariser Vereinbarung ausgestiegen. |
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Essay zur gleichnamigen Ausstellung. Siehe auch: Das sagen die KünstlerInnen |
(c) Bild:Ehrenreich Silvia - Aufschrei, Acryl auf Leinwand, 120 x 95 cm |
Das Paradigma des Klimawandels laut wikipedia: "Die gegenwärtige globale Erwärmung oder Erderwärmung (umgangssprachlich auch „der Klimawandel”) ist der Anstieg der Durchschnittstemperatur der erdnahen Atmosphäre und der Meere seit Beginn der Industrialisierung. Es handelt sich um einen anthropogenen (= menschengemachten) Klimawandel, da er hauptsächlich auf Aktivitäten der Energiewirtschaft, Landwirtschaft, Industrie, im Verkehrs- und Gebäudesektor zurückzuführen ist, die Treibhausgase emittieren."
Die moralische Formulierung des Paradigmas: Der Klimawandel wurde durch die Menschheit verursacht, die Menschheit hat daher die Pflicht, den Klimawandel zu stoppen. Aber ist das auch machbar? Wer die Machbarkeit in Frage stellt, wird als "Klimaleugner" abgestempelt. Diese Form der Diffamierung ist üblich, aber nicht wissenschaftlich. In jeder Wissenschaft muss es möglich sein, jede These in Frage zu stellen. "Alternativlos" kann niemals zu Kategorie einer These werden, auch wenn eine These von "hoher Evidenz" ist.
Technische Machbarkeit wird heute üblicher Weise in Machbarkeitsstudien untersucht, die zwischen Idee, Planung und Verwirklichung stehen. Ob Produkte gut oder schlecht sind, entscheidet der Markt - sofern das Ideal einer freien Marktwirtschaft tatsächlich existiert. Politische Machbarkeit ergründen Meinungsforscher im Auftrag von Parteien; Interessenverbände wie NGOS und Lobbyisten versuchen darauf Einfluss zu nehmen. Am Ende nimmt jede Entscheidung über die Machbarkeit die Form eines Gesetzes an und die Wähler verifizieren oder falsifizieren die Gesetze durch Bestätigung oder Abwahl der verantwortlichen Parteien - sofern diese Prozesse in einer echten Demokratie stattfinden.
Die "freien Märkte" dieser Welt zeigen massive Trends zur Monopolbildung, finanzkräftige Trusts bestimmen nicht nur die Märkte, sondern nehmen auch massiv Einfluss auf die Gesetzgebungen. Internationale Handelsverträge wie TTIP und CETA wurden nicht von Vertretern der Regierungen, sondern von Lobbyisten der Konzerne verhandelt. Die Demokratien dieser Welt zeigen massive Schwächen in der Machtkontrolle. Machbarkeit hat mit Macht zu tun, das Machbare auch zu verwirklichen. Wo Macht ohne Machtkontrolle ausgeübt wird, dort ist die nächste Diktatur nicht weit.
Im Interesse der Demokratie muss die Art und Weise, wie "die Politik" die Rahmenbedingen für die CO2-Reduktionen schafft, kritisch in Frage gestellt werden. Die Frage muss erlaubt sein ob "die Politik" das überhaupt kann, und wenn sie es kann, ob sie es darf, auch wenn damit Grundrechte gefährdet und verletzt werden. Die Annahme, dass "die Politik" Rahmenbedingungen setzen kann, die Planziele mit 10, 15 oder sogar 30 Jahren ins Auge fassen, übertrifft die Methoden der Planwirtschaft, wie sie in der Sowjetunion praktiziert und gescheitert sind. Der Duktus vieler Studien über die Maßnahmen gegen den Klimawandel lässt wenig Spielraum für demokratische Abstimmungen über die vorgegebenen Ziele. Diese Studien lassen auch wenig Zweifel daran, dass die Klimaprobleme global gelöst werden müssen. Da ist kein Platz für eigene Entscheidungen einzelner Länder.
"Die Politik" ist aus Sicht jener, die sich der Agenda des Klimawandels mit Schlagworten wie "Zero Carbon" und "Green Deal" verschrieben haben, eine globale Agenda, die über den demokratisch gewählten Regierungen dieser Welt steht. Demokratisch wäre ein gemeinsames Projekt als Ergebnis autonomer Entscheidungsprozesse in 200 Staaten dieser Welt. Die laufende Agenda, die wenig Rücksicht auf die spezifischen politischen Probleme der einzelnen Länder nimmt, wird von vielen Idealisten unterstützt.
Das Paradigma des Klimawandels könnte auch als "wicked problem" (bösartiges Problem) bezeichnet werden. Die Stadtplaner Melvin Webber und Horst Rittel prägten Mitte der 1960er Jahre diesen Begriff. Damit beschrieben sie Probleme, deren Lösung nicht in linearen Schritten von der Planung bis zur Umsetzung erfolgen kann, weil jeder Lösungsansatz wieder neue Fragen aufwirft und jede Umsetzung eines Vorschlages wieder neue Probleme verursacht. Der Klimawandel ist in diesem Sinne ein "super wicked problem".
So sehr jeder vernünftige Mensch für den Klimaschutz sein muss, so wichtig ist es, nicht auf alle anderen Probleme unserer Zeit zu vergessen. Darunter auch wicked problems wie Hunger und Armut, aber auch lösbare Probleme wie die Verschmutzung der Weltmeere ("Plastik Planet"), die Schuldenkrise oder die zunehmende Tendenz zu Wirtschafts- und Machtmonopolen unter Ausnutzung des Systems der liberalen Marktwirtschaft. Doch an der Spitze der Probleme dieses Jahrzehnts steht die massive Untergrabung der Fundamente unserer Demokratien. Die Gefahr, dass die Demokratien dieser Welt dieses Jahrzehnt nicht überleben, ist bedrohlicher, als die Gefahr, dass ein paar Länder dieser Welt Zero Carbon ein oder zwei Jahrzehnte später als geplant erreichen.
Der Klima-Wandel ist ein Problem, vielleicht sogar ein "bösartiges" Problem. Aber auch die Lösungsansätze, die auf der Agenda von Glasgow stehen, könnten sich als "bösartig" entlarven. Wird der Fahrplan bis 2050 ohne Rücksicht auf demokratiepolitische Verluste durchgezogen, so könnte sich auch das Ergebnis als "bösartig" erweisen. In hundert Jahren werden Historiker vielleicht über den Ausbruch einer Ökodiktatur schreiben, wenn sie über die 2020er Jahre berichten. Diesen Wandel kann sich niemand wünschen. Diese Folge des Klimawandels kann nur verhindert werden, wenn es weiterhin demokratische Alternativen gibt.