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(18. 12. 2020 - Otto Hans Ressler, Autor und Auktionator, via facebook) Während der Regierungskrise 2019 äußerte sich Bundespräsident Alexander van der Bellen begeistert über die „Schönheit und Eleganz“ unserer Bundesverfassung. Leider erweist sich schon bei oberflächlicher Überprüfung, dass unsere Verfassung nicht „schön und elegant“ ist, sondern ein bürokratisches Monster.

 

2004 drehte mein Sohn einen Film über „Venezuela von unten“. Er erzählte mir, dass unglaublich viele Leute in Venezuela mit der venezolanischen Verfassung unter dem Arm anzutreffen seien, darin lasen, darüber diskutierten, sich darauf bezogen.

 

Ich kann nicht behaupten, dass ich jemals jemandem mit der österreichischen Verfassung begegnet sei. Es wäre auch fast unmöglich: Die österreichische Bundesverfassung ist mehr als 600 Seiten schwer. Es ist auch auszuschließen, weil kein normaler Mensch sie lesen könnte. Sie ist eben nicht „schön und elegant“ formuliert, sondern in einer Sprache, bei der selbst Juristen Probleme mit dem Erfassen haben. Es ist eine Sprache, die gerade noch an Deutsch erinnert, ohne dem Deutsch von Ingeborg Bachmann, Elias Canetti, Erich Fried, Thomas Glavinic, Peter Handke, Elfriede Jelinek, Franz Kafka, Christine Lavant, Felix Mitterer, Peter Rosei, Marlene Streeruwitz, Peter Turrini oder Stefan Zweig auch nur nahezukommen.

 

Es ist auch nicht so, dass die österreichische Verfassung klar und verständlich Rechte und Pflichten der Bürger und ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft aufzählen würde, die Grundwerte Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit, das Recht auf Leben, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Meinungs- und Informationsfreiheit, die Medienfreiheit, die Sprachenfreiheit, die Freiheit von Wissenschaft und Kunst, das Versammlungsrecht, die Niederlassungsfreiheit und und und. Die österreichische Bundesverfassung ist ein unübersichtliches Konglomerat, in das auch immer wieder Dinge hineinreklamiert wurden, von denen man genau wusste, dass sie in einer Verfassung nichts zu suchen haben, sie aber der Verfassungsgerichtshof, weil sie ja in Verfassungsrang erhoben worden waren, nicht aufheben konnte.

 

Die österreichische Verfassung ist auch nicht reformierbar. Sie muss völlig neu geschrieben werden!

 

Und natürlich sind Politiker, Bürokraten und Juristen denkbar ungeeignet, das zu tun, weil sie mit einer modernen, „schön und elegant“ formulierten Verfassung Teile ihrer Existenzberechtigung preisgeben würden. Jede und jeder würde verstehen, worin ihre und seine Rechte bestehen und sie – horribile dictu – möglicherweise sogar einfordern. Da macht man lieber mit einer Verfassung weiter, die hundert Jahre alt ist, deren Wurzeln bis tief ins 19. Jahrhundert reichen und deren Tauglichkeit für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts schlicht nicht gegeben ist.

 

Wer mehr darüber erfahren möchte, dem empfehle ich das Buch „Baustelle Parlament“ von Hubert Thurnhofer. Bis auf die Originalzitate aus der Verfassung ist wirklich gut und verständlich formuliert, woran unsere Verfassung krankt.

 

Am 14.12.2020 nahm O.H. Ressler die Regierungspolitik kritisch unter die Lupe:

Nach der letzten Wahl war ich froh, dass die Grünen in die Regierung eingetreten sind. Sie schienen mir ein Garant dafür zu sein, dass nicht immer nur vom Schließen der Balkanroute und dem Hinausekeln von Flüchtlingen gesprochen werden würde. Auch gegen die Klimakatastrophe musste dringend etwas getan werden, wozu Türkis-Blau überhaupt keine Bereitschaft gezeigt hatte.

 

Ich will es nicht verhehlen: Ich bin enttäuscht. Maßlos enttäuscht. Die Ministerinnen und Minister der Grünen haben zu so vielen Ungeheuerlichkeiten ihrer türkisen Regierungskollegen geschwiegen, dass man es gar nicht aufzählen mag. Und ihre Klubvorsitzende Sigrid Maurer, die ich für ihren Umgang mit den Obszönitäten eines Bierlokalbesitzers bewundert habe, hat die absurdesten Verdrehungen bemüht, um zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist.

 

Von Werner Kogler als Kunstminister habe ich nie viel erwartet, wie denn auch? Aber mit Andrea Mayer hat er jemanden gefunden, der hinter den Kulissen wirklich viel bewegt. Ich möchte sie von meiner Kritik ausdrücklich ausnehmen. Werner Kogler indessen nicht. Es gibt Konstellationen, da darf man nicht schweigen! Selbst wenn es den Kopf – oder die Regierungsbeteiligung – kostet.

 

Rudolf Anschober ist fraglos ein sympathischer Mensch. Sein ständiger Alarmismus („Die nächsten Tage sind entscheidend!“) geht mir allerdings schon schwer auf die Nerven. Völlig unverzeihlich ist aber, dass aus seinem Ministerium der Gesetzesentwurf gekommen ist, der Polizisten die Durchsuchung von Privatwohnungen ermöglicht hätte. Die Antwort auf diesen Anschlag auf unsere Grund- und Freiheitsrechte kann nur der Rücktritt sein – tut mir leid!

 

Von Leonore Gewessler hätte ich mir einen viel offensiveres Eintreten für den Klimaschutz und die Umwelt erwartet. Es wird schon stimmen, dass sie mit diesen Themen derzeit nicht durchdringt. Aber Corona hindert sie nicht daran, klare, kluge Gesetzesinitiativen zu erarbeiten für die Umwelt und den Klimaschutz zu erarbeiten. Da haben wir nämlich absolut keine Zeit mehr zu verlieren. Es ist nicht 5 vor 12, es ist 5 nach!

 

Alma Zadic ist vorzuwerfen, dass sie Christian Pilnacek weiter in einer Schlüsselposition belassen hat. Er ist die Personifizierung der Intrigen, mit denen sich die Staatsanwaltschaften offenbar mehr beschäftigen als mit Anklageerhebungen. Dabei wäre so viel zu tun. Die Justiz arbeitet in diesem Land bei weitem nicht so effizient, wie gerne behauptet wird. Unzählige Verfahrenseinstellungen beweisen das. Und mich ärgert, dass die Behörden nach wie vor zu glauben scheinen, dass sie uns für ihre Entscheidungen keine Rechenschaft schuldig sind.

 

Dennoch, gegenüber den ehemaligen FPÖ-Ministerinnen und Ministern sind die Grünen ein Quantensprung. Aber eher doch nicht der erhoffte Fortschritt, der uns sehr schnell ein großes Stück voranbringt. Die Grünen würden kein unüberschaubares Risiko eingehen, wenn sie für die richtigen Dinge – auch gegen den Koalitionspartner – eintreten. Der kann sich nämlich nicht leisten, die dritte Regierung in Folge in die Luft zu sprengen.

 

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Baustelle Parlament.

Warum die österreichische Verfassung für das 21. Jahrhundert nicht geeignet ist.

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