3.7.2020 - In der Wiener Zeitung schreibt unser Bundespräsident Alexander Van der Bellen heute über die österreichische Verfassung: "Die Verfassung beinhaltet auch Regeln für das politische Geschehen. Sie fördert dadurch den Interessenausgleich zwischen den sozialen Gruppen: zwischen den Generationen und Geschlechtern, zwischen Mehrheiten und Minderheiten, zwischen Staat und Bürgerinnen und Bürgern, zwischen Ökonomie und Ökologie, zwischen dem öffentlichen und dem privaten Bereich - um hier nur einige Schwerpunkte hervorzuheben. Wir können auf die Bundesverfassung zu Recht stolz sein, und ich habe sie vor allem während der innenpolitischen Turbulenzen im Mai und Juni 2019 sehr zu schätzen gelernt. Sie hat mir den Weg zu einer Lösung vorgezeichnet."
Das könnte man als moralische Sonntagspredigt so stehen lassen. Doch unser Präsident ist kein Prediger, auch kein Priester und schon gar nicht der Papst. Er ist somit fehlbar. Eine Demokratie lebt davon, Fehler zu korrigieren. Doch das ist nur möglich, wenn man einen Fehler überhaupt sieht. Wer fragt, worauf sich VdB genau bezieht, wenn er vom Interessenausgleich spricht, der findet bezüglich Minderheitenschutz in Artikel 8 zwar keine Antwort, aber immerhin eine Andeutung: „Artikel 8. (1) Die deutsche Sprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik.“
Die Generationenfrage wird im Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern zwar angesprochen, aber bei weitem nicht geregelt, somit der Interessenausgleich auch nicht „gefördert“. Jeder kann diese Behauptung sofort überprüfen, das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern umfasst nur acht Artikel
Wer allerdings nach Verfassungsartikeln sucht, die einen Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie, zwischen öffentlichem und privatem Bereich, oder gar zwischen Staat und Bürgern schaffen - der sollte mal bei VdB direkt nachfragen, auf welche Artikel er sich dabei bezieht. Ich hab nämlich keine gefunden. Aber wie gesagt, als Sonntagspredigt oder Wunschkonzert beim Frühschoppen könnten seine Ausführungen durchgehen.
Verlogen jedoch ist die Aussage, die Verfassung „schützt die Bürgerinnen und Bürger vor jeglicher Willkür“. Entweder sieht VdB schlecht, oder er will ganz einfach nicht sehen, welche Willkürakte von diesem Staat täglich zu verantworten sind. Da meine ich nicht nur Willkür infolge der Corona-Krise, sondern Willkür überall, wo es um Postenbesetzungen geht, um Förderungen und Subventionen, um öffentliche Aufträge usw. Sogar bei Gerichtsurteilen kann man in unserer demokratischen Republik nicht mehr sicher sein, dass sie frei von Willkür sind.
Dem entsprechend lehne ich es ab auf unserer Verfassung stolz zu sein. Ganz im Gegenteil! Unsere Demokratie schwächelt, und das hat viel mit der schlechten Verfassung unserer Verfassung zu tun. Österreich hat sich eine bessere Demokratie verdient und braucht dafür als Grundlage eine bessere Verfassung. Eine Verfassung die jeder versteht, nicht nur ein paar Experten! Unser Bundespräsident VdB zählt übrigens nicht zu diesen Experten.
Mehr über die Verfassung siehe Serie der Wiener Zeitung
Siehe auch: @VdB: Die Kulturschaffenden pfeiffen auf Ihre Unterstützung
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Baustelle Parlament.
Warum die österreichische Verfassung für das 21. Jahrhundert nicht geeignet ist.