5.6.2020 - Wie seltsam. Jeder Staatsbürger dieses Landes lebt danach, wohl oder übel, die Gesetze werden durch sie legitimiert (manchmal auch umgekehrt) – doch eines haben Bürger wie Politiker gemeinsam: niemand kennt sie, die Verfassung.
Die vielgepriesene „Schönheit" unserer Verfassung bröckelt mit jeder Seite, wenn sie der philosophisch geschulte Autor genüsslich zerpflückt. Sie entpuppt sich als zusammengewürfeltes, zurechtgestricktes Stückwerk, ein Werk von Bürokraten für Bürokraten, das kaum je in Frage gestellt wird. Anders als in Deutschland, wo man von Grund auf gründlich, eine neue Verfassung verfasste, genügt dem schlampigen Österreicher wohl das Weiterwursteln.
In Thurnhofers kritischer Hinterfragung der österreichischen Verfassung lernt man einiges über das Österreichertum. Interessant auch, was nicht oder bestenfalls in einer Randnotiz in der Verfassung steht: Kunst, Kultur, Bildung – also das, woraus das Land eigentlich seinen Stolz bezieht. Und Ethik, Würde, Frieden? Nicht auffindbar oder gut versteckt. Die Menschenrechte, ok, aber einem Zwergstaat angepasst, eben im Liliputformat.
Und - genauso unverhohlen wie skandalös - wird aufgezeigt, zu welchem Kniefall ein Rechtsstaat vor den Banken und der internationalen Finanzherrschaft bereit ist.
Baustelle Parlament sollte eigentlich Pflichtlektüre für jedermann sein. Für den Unterrichtsgebrauch ist es wohl zu gefährlich, denn es regt zu kritischem Denken und zum Suchen nach Neuem, nach kreativen Lösungen an.
Siehe auch:
Hubert Thurnhofer: Baustelle Parlament
Warum die österreichische Verfassung für das 21. Jahrhundert nicht geeignet ist
ISBN 9 7837 50 441576