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Die Beziehung zwischen Kirche und zeitgenössischer Kunst ist in einem derart desolaten Zustand, dass dafür ein eigener Begriff kreiert werde muss: kirchostrophal. Die Kirchostrophe ist die ins Metaphysische gesteigerte Form der Katastrophe. Die Kirchostrophe ist mit irdischen Instrumenten nicht messbar wie Naturkatastrophen und daher mit irdischen Mitteln auch nicht zu beheben. Gott selbst steht der Kirchostrophe machtlos gegenüber.

Symptomatisch für die Kirchostrophe ist die Verleihung des Preises der Diözese Seckau 2007 an Lotte Lyon. Lyons Kunst ist minimalistisch, ihre Meisterschaft besteht darin, Juroren aller Klassen zu vereinnahmen. So erhielt sie 2007 den Kunstförderungspreis der Stadt Graz, ein Staatsstipendium für künstlerische Fotografie und den Kunstpreis der Diözese Graz-Seckau, 2006 den Preis der Steiermärkischen Bank & Sparkassen AG, weiters Arbeitsstipendien in Paris (1997, 2002), New York (2003) und Rom (2005). Lyon hat offenbar alle erdenklichen Preise und Fördermittel abonniert, Ausstellungen hat sie noch wenige gemacht.

Im Internet findet sich eine Info über Loyns Ausstellung in der Neuen Galerie Graz – Studio , 2004. Zentrales Objekt der Ausstellung waren zwei Plastikstühle, einer blau, der andere rot. Dazu der Kommentar der Neuen Galerie: „Ihre sehr reduzierten Objekte muten minimalistisch, sogar der Minimal Art folgend, an. Die Regeln und Verbote der Minimal Art in Richtung Bedeutung, Anthropomorphismus, Autonomie, Funktion, Bedeutung, Benutzbarkeit, Inhaltslosigkeit, industrielle Herstellung etc. regen jüngere KünstlerInnen immer wieder zur künstlerischen Auseinandersetzung und vor allem Widerspruch an. Bei Lotte Lyon verhält es sich ähnlich. Ihre oft verblüffend simplen Objekte ... werden zu Stelen, die "Präsenz" und "Ort" generieren. Man gewinnt hier jedoch den Eindruck, als sei der "Ort" das Selbstverständlichste überhaupt - wo soll denn eine Skulptur sonst stehen? Folglich sind Lotte Lyons "Leitern" und "Staubfänger" sehr präzise am Ort platziert und spielen ihre Präsenz selbstverständlich aus - sie tun es einfach, ohne es zu müssen. Das historische Phänomen Minimal Art - durchaus ein Fetisch für Generationen von KünstlerInnen und TheoretikerInnen - wird so zur Steighilfe anderer künstlerischer Zielvorstellungen.“

Was sagt uns der Text über die Arbeit von Lotte Lyon? Ein Sammelsurium abstrakter, bedeutungsschwangerer aber inhaltsleerer Begriffe: „Anthropomorphismus, Autonomie, Funktion, Bedeutung, Benutzbarkeit, Inhaltslosigkeit, industrielle Herstellung etc“. Andeutungen wie „Bei Lotte Lyon verhält es sich ähnlich“, lassen die Präzisierung vermissen, wie es sich nun genau bei Lotte Lyon verhält. Hervorhebung und gleichzeitig Relativierung eindeutiger Begriffe durch Anführungszeichen, ohne damit eine erkennbare Absicht zu verraten: „Präsenz“, „Ort“, „Leitern“, „Staubfänger“. Abschließend: „Das historische Phänomen Minimal Art - durchaus ein Fetisch für Generationen von KünstlerInnen und TheoretikerInnen - wird so zur Steighilfe anderer künstlerischer Zielvorstellungen.“ Welche anderen künstlerischen Ziele konkret?

Auch Egon Kapellari schafft es in seinem „Bischofswort“ zur Verleihung des Preises der Diözese am 3. Dezember 2007 die Künstlerin und ihr Werk mit keinem Wort zu erwähnen. Anstatt dessen stellt er der Jury „ein gutes Zeugnis“ aus und versichert, dass „unser diözesaner Kunstpreis auf diese Weise unzweifelhaft legitimiert“ sei. Auf welche Weise? Kapellari: „Ein diözesaner Kunstpreis wäre in der Tat eine bald als solche entlarvte Alibi-Institution, wenn es in einer solchen Diözese nicht viele Foren und viele Menschen gäbe, die Kunst und Religion ohne gegenseitige Vereinnahmung miteinander ins Gespräch bringen. Dies in der Überzeugung, dass beide auf die großen Fragen menschlicher Existenz bezogen sind und daher einander auch heute viel zu sagen haben.“ Und wo bitte findet dieses Gespräch statt? „An theologischen Fakultäten, in kirchlichen Bildungshäusern und Studentengemeinden, in vielen Klöstern und nicht wenigen Pfarren setzt man sich seit Jahren mit jeweils neuerer und neuester Kunst auseinander.“ Offenbar unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Hätte Kapellari die Verleihung nicht nutzen können um uns zu sagen, was die Kirche im 21. Jahrhundert von der Kunst erwartet? Und was hat die Kirche über die Kunst zu sagen, oder was hat sie der Kunst zu sagen? Wie hätte er die beiden Plastikstühle von Lotte Lyon interpretieren können? Der Papst sitzt zwischen den Stühlen, der Heilige Stuhl in seiner Polarität zwischen heißer Wirklichkeit (rot!) und kalter Dogmatik (blau!), oder, besonders originell: der Kampf zwischen Himmel (blau) und Hölle (rot). Damit hätte er wenigstens der Minimal Art aus ihrer Isolation geholfen, wenn auch durch Dekonstruktion der von der Minimal Art selbst definierten „Regeln und Verbote“ (siehe Neue Galerie). Doch wozu soll sich denn ein Bischof inhaltlich auseinander setzen, wenn doch kirchliche Bildungshäuser Kunst und Religion „miteinander ins Gespräch“ bringen?

Warum aber sind weder der Kunstbischof Egon Kapellari, noch der Wiener Kardinal Christoph Schönborn, der immerhin die Künstlergruppe IMAGO ins Leben gerufen hat, imstande, ein Gespräch mit Künstlern über Kirche und Kunst zu führen? Weil die allgemeine Verwirrung darüber, was Kunst ist, was Kunst heute darf oder nicht darf, soll oder nicht soll, natürlich auch die Kirche in die völlige Desolation getrieben hat. Kein Bischof, ja nicht einmal der Papst, darf sich heute über einen Hohepriester der Kunst stellen, der da behauptet: "Im Falle der Kunst gibt es keine objektiv überprüfbaren Kriterien, mit deren Hilfe man die Qualität beurteilen könnte. Man kann nicht einmal objektiv sagen, ob ein bestimmter Gegenstand überhaupt Kunst ist oder nicht" (Dieter Ronte).

Dass die Kirche heute für sich nicht mehr definiert, welche Kunst sie in ihren sakralen Räumen sehen will und welche Kunst sie dem entsprechen fordert und fördert, macht es auch unmöglich, einen Dialog mit der Kunst respektive den Künstlern zu führen. Über welche Position soll denn diskutiert werden, wenn sich niemand auf eine Position festlegt? Das „Kunst ist nicht definierbar“-Axiom führt nicht nur zur Kirchostrophe, sondern zur Desolation der Kunst insgesamt. Jedes Reden über etwas, das nicht mehr definiert werden kann, ist nicht einmal ein Reden über Nichts, sondern einfach nichts, leeres Gewäsch, freies, assoziatives Plätschern von Worten und Wortfolgen, ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit; verpflichtet lediglich der absoluten Beliebigkeit, die so zum dogmatischen A priori des gesamten Kunst-Diskurses wird.

Eines ist sicher: zwei „verblüffend simple Objekte“, deren „Benutzbarkeit, Inhaltslosigkeit, industrielle Herstellung“ von einer Künstlerin in einer Galerie ausgestellt werden, sind nur deshalb, weil sie in einer Galerie von einer Künstlerin ausgestellt wurden, noch keine Kunst. Zwei Plastiksessel sind – egal mit welcher Intention und in welchem Raum – grundsätzlich keine Kunst. Zwei Plastiksessel, das ist ein Plastiksessel zuviel, oder vielleicht ein Plastiksessel zu wenig, wenn zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind... Zwei Plastiksessel sind Kunst, sind ein Gottesdienst, sind eine Demonstration, sind die Schwulen-Ehe, sind Adam und Eva, sind Elisabeth und Maria Stuart, sind alles und nichts. Nach diesem Schema der Beliebigkeit kann ich als Künstler heute alles zur Kunst erklären. Ich setze mich ins Auto und fahre nach Graz. Meine Fahrt nach Graz ist Kunst. Der Stau bei der Ausfahrt von Wien – Kunst. Die Zufahrt zur Südautobahn – Kunst. Die Schallschutzwände – Kunst. Die Umleitung zur Gegenfahrbahn mit den vielen blinkenden Lichtern – Kunst. Die Baustelle am Wechsel – der Höhepunkt des Kunstgenusses: Diese unglaublich präzis geplante Choreographie im Zusammenspiel von Kran, Bagger und Bauarbeitern, und die Ästhetik, wie der Schotter vom Kipper auf die Trasse fließt.... Die Verkehrsberuhigungsanlage bei Gleisdorf - Kunst. Die Einfahrt nach Graz – Kunst.

Dass alle kirchlichen Preise (Otto Mauer Preis, Kardinal König Preis, Seckau-Preis) in den vergangen Jahren und Jahrzehnten ausschließlich an nicht-christliche Künstler verliehen wurden, kann nicht als Zeichen eines liberalen, offenen Dialogs der Kirche mit der Kunst gewertet werden, sondern nur als Zeichen der Orientierungslosigkeit der Kirche, die mittlerweile in die Kirchostrophe gemündet ist. Das ist so, als würde die Kirche bekennende Atheisten zu Theologen promovieren und zu Priestern weihen. Eine Utopie? Wahrscheinlich schon Realität. Hauptsache es sind Männer, die die kirchliche Hierarchie aufrecht erhalten, da reicht es wohl, dass sie ihr Interesse an der Theologie bekundet haben und wenigstens an irgendwas glauben, sei es an Gott, oder sei es an Nichtgott. Viel schlimmer wäre da schon, wenn verheiratete Männer, geschweige denn fromme Frauen den Gottesdienst ausführen würden. Das wäre der sichere Untergang des Kirchensystems, wie es heute besteht. Da sind der Kirche die Priester-Päderasten schon lieber, die mit dem Zölibat nicht anders fertig werden als ihre Sexualität bei Jungschar und Firmlingen auszutoben. Haben wir doch Jahrhunderte bei den Exzessen der Päpste und Bischöfe weggeschaut, wollen wir heute beim kleinen Priesterfußvolk nicht so streng sein.

Jahrhunderte hat die Kirche bei all ihren Verfehlungen doch nach Höherem gestrebt und dieses Streben künstlerisch untermauert. Heute strebt die Kirche nur noch danach, den Schein zu wahren, doch der Schein trügt, und das weiß heute jedes Kind bereits bei der Erstkommunion.

20. April 2008

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