Die „Österreichische Gesellschaft für Kulturpolitik“ mit Sitz in der Löwelstraße 18, für all jene, die nicht in Wien zu hause sind: das ist der Sitz der SPÖ-Zentrale, schrieb mir am 11. November 2015 gender-gerecht: „Sehr geehrte/r Frau/Herr Thurnhofer,
… Wir haben für November und Dezember 2015 wieder ein sehr schönes Programm entwickelt, zu dem wir sehr herzlich einladen dürfen: ...“
Einer der schönen Programmpunkte ist eine Tagung zum Thema „Braucht es eine Repolitisierung der Kulturpolitik?“
Zunächst meine ich, es braucht eine Repolitisierung der Politik. Die Flüchtlingskrise hat in einem erschütternden Ausmaß offenbart, dass in der österreichischen Politik nur noch Bürokraten sitzen, die entweder nach dem Florianiprinzip oder nach dem Motto „Furschrift is Furschrift“ agieren, anstatt politische Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.
Danach beantwortet sich die Frage „Braucht es eine Repolitisierung der Kulturpolitik?“ von selbst. Die penetrante Politiklosigkeit der Politik, die nur noch der Systemerhaltung dient und weder Zukunftsvision noch Gegenwartsbewältigung bietet, hat ausgedient, und zwar in allen Bereichen, ob Kultur oder Soziales, Innen oder Außen, Wirtschaft oder Wissenschaft.
Um zu verstehen worum es geht, möchte ich einen SP-Kronzeugen zitieren, der mehrere Systemveränderungen miterlebt hat: Julius Tandler, Arzt und sozialdemokratischer Politiker (1869-1936)
„Welchen Aufwand übrigens die Staaten für völlig lebensunwerte Politik leisten müssen, ist zum Beispiel daraus zu ersehen, daß die 30.000 Vollidioten Österreichs diesem Staat zwei Milliarden Euro kosten. Bei der Kenntnis solcher Zahlen gewinnt das Problem der Vernichtung lebensunwerter Politik an Aktualität und Bedeutung. Gewiß, es sind ethische, es sind humanitäre oder fälschlich humanitäre Gründe, welche dagegen sprechen, aber schließlich und endlich wird auch die Idee, daß man lebensunwerte Politik opfern müsse, um lebenswerte zu erhalten, immer mehr und mehr ins Volksbewußtsein dringen.“
Frei zitiert nach https://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Tandler
Für alle Vollidioten, die es nicht bemerkt haben: dieses Zitat ist verfremdet und reine Satire.
Um „die kulturpolitische Debatte zu beleben“ und „ein lebendiges Forum zu sein“, sowie „eine dynamische Plattform“ bieten zu können, ruft der Verein zu Spenden auf: „Natürlich lebt ein Verein, wie die Österreichische Gesellschaft für Kulturpolitik, im Besonderen von der finanziellen Unterstützung der Mitglieder (sic!). … Aus diesem Grund erlauben wir uns einen Erlagschein mitzuschicken.“ Dieses Originalzitat ist möglicher Weise keine Satire. Nach Neunerhaus, Vinzirast und Wiener Tafel ist der Schnorrbrief der „Österreichischen Gesellschaft für Kulturpolitik“ der vierte an diesem 11.11.2015, der mich daran erinnert, dass Geben seliger denn Nehmen ist.
(Illustration: Ernst Zdrahal, Thomas Bernhard in Grinzing)
Kleiner Tipp an NAbg Elisabeth Hakel, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kulturpolitik: klopfen Sie mal bei der Wiener SPÖ an, die dafür sorgt, dass Häupls segensreiche Politik mit einem Budget von 100 Millionen Euro jährlich* propagandistisch bis in den letzten verstaubten Winkel dieser Stadt eindringt. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Bürgermeister, der in Promillen denkt, Verständnis dafür aufbringt, einen Promillsatz seines Propagandabudgets in die Kultur zu stecken. Und vielleicht könnte der Bürgermeister auch dadurch ein Signal setzen, dass er die Säule der Wiener Kulturpolitik, den herausragenden aber völlig glanzlosen Kulturstadtrat, ersetzt durch eine herausragende, aber leuchtende Straßenlaterne.
* Quelle: von keiner Seite dementierte Aussage von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner über die Höhe des Wiener Werbebudgts im ORF-Sommergespräch 2015