Namhafte Experten des Kunstmarktes vertreten die Meinung, man könne die Qualität von Kunst nicht definieren, ja nicht einmal objektiv entscheiden ob etwas Kunst sei oder nicht. Hubert Thurnhofer, Leiter des Kunstraums in den Ringstrassen Galerien, relativiert diesen Relativismus.
Wenn Krethi und Plethi angesichts vieler hochgejubelter Künstler und Kunstwerke, mit denen sie nichts anfangen können, resignieren und sich damit abfinden, dass sie nicht verstehen können, was Kunst sei, so ist das im Sinne der Aufklärung ein bedauerlicher Rückschritt. Aber finden sich Greti und Plethi in einer „selbstverschuldeten Unmündigkeit“?
Immanuel Kant hat Aufklärung als „Befreiung von der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ definiert. Nun tummelt sich im Kunstmarkt aber eine Heerschar von Experten, die ebenfalls öffentlich erklären, man könne die Qualität von Kunst nicht definieren. Diese Behauptung stellte z.B. Otto Hans Ressler, Auktionator und Experte für Zeitgenössische Kunst Im Kinsky, kürzlich bei einer Podiumsdiskussion auf (Video abrufbar über www.kunstsammler.at).
Man stelle sich vor, ein Programmierer behauptet, er wisse nicht, was die Qualität einer guten Software ausmache, ja, es ließe sich gar nicht definieren, was überhaupt eine Software ist und was nicht. Oder ein Arzt, ein Statiker, ein Mechaniker würde das in seinem jeweiligen Fachgebiet behaupten. Vielleicht sogar Experten, die als Gutachter in diesen Bereichen tätig sind. Genau das ist in der Kunst üblich. So stellt sich die Frage: ist die Kunst kein Fachgebiet, wie jedes andere? Und gelten in der Kunst eigene Gesetze?
Gerne werden Originalität, Einzigartigkeit und Genialität eines Künstlers postuliert, selten aber begründet, worin diese eigentlich bestehen. Logisch, denn wenn es keine Kriterien gibt, gibt es auch keine Begründung. Häufig werden die Freiheit der Kunst, die Autonomie (Selbstgesetzgebung) des Künstlers als nicht weiter hinterfragbare Prämissen postuliert. Anstelle der Argumentation tritt aber der Glaube der Insider an bestimmt Künstler. Greti und Plethi können diesen Glauben dann naiv übernehmen oder werden von der „Religionsgemeinschaft der Kunstgeweihten“ als Laien und Dilettanten exkommuniziert.
Das ist keine Verschwörungstheorie eines unbedeutenden Galeristen. Ein ganz Großer der Kunstszene, Dieter Ronte, beschreibt die quasireligiöse Welt der Kunst: „Die Insider wissen sich ein und derselben Wertsphäre verbunden. Je engagierter sie an den Wertbildungen der Sphäre beteiligt sind, desto subtiler können sie mit der Sphärengrammatik umgehen. Sie entwickeln eigene Codes und Sprachen, die nur den Insidern selbst vertraut sind. Dadurch schützt sich die Wertsphäre nach außen; der Sprachunkundige wird zum Banausen.“ (ArtInvestor S. 46)
Ich will nicht das tiefe Mittelalter beschwören, aber ein Rückschritt hinter die Errungenschaften der Aufklärung ist so eine Geisteshaltung allemal. Eine Geisteshaltung, die Kunst über Glauben und nicht über nachvollziehbare Argumente definiert. Eine Weltanschauung, in der sich Insider (Hohepriester der Kunst) mit ihrem Geheimwissen über die Ratio stellen, die bei aufkeimender Kritik allenfalls als dumpfer Hausverstand abqualifiziert wird.
Die Behauptung von der Nicht-Definierbarkeit von Kunst kommt zusätzlich unter dem Mäntelchen des Lessaiz faire daher, ist aber in Wahrheit mittlerweile zu einem Dogma geworden. Gegen dieses Dogma richtet sich die Frage:
Was ist das Wichtigste an der Qualität von Kunst?
Die ITÄT, sonst wird die Kunst zur Qual.
Das ist nicht nur ein Wortspiel, sondern lässt sich auch rational entschlüsseln: ITÄT, steht für
I = Idee (welche Idee liegt einem Kunstwerk zugrunde, ist es originell, origniär, oder bloß epigonenhaft?)
T = Thema (wie ist das jeweilige Werk thematisch im Oeuvre des Künstlers einzuordnen, haben seine Werke Bezug zu den Themen der Zeit, verfolgt er Modetrends oder geht er seine eigenen Wege?)
Ä = Ästhetik (welche ästhetischen und kompositorischen Prinzipien verfolgt der Künstler, ist das Bild im konventionellen Sinn schön oder häßlich oder setzt es neue ästhetische Maßstäbe?)
T = Technik (werden Ideen, Themen, Ästhetik mit technischer Brillianz realisiert, wird die Umsetzung den eigenen Ansprüchen des Künstlers gerecht, kurz ist seine Technik State of the Art?)
Damit sind vier Qualitätskriterien definiert, über die man sprechen muss, wenn man über die Qualität eines Kunstwerkes (das Werk an und für sich) spricht. Dem gegenüber steht die weit verbreitete Praxis im Kunstmarkt, überhaupt nicht mehr über die Qualität eines Werkes zu sprechen, sondern nur noch über die Bekanntheit eines Künstlers. Und davon wird der Preis eines Kunstwerkes abgeleitet. Suggeriert wird, dass der Preis einen hohen Wert widerspiegelt. Das aber ist falsch. Viele der von Ronte so genannten „Banausen“ hegen den Verdacht, Preis und Wert eines Kunstwerkes hätten nicht viel miteinander zu tun. Das stimmt nicht, wahr ist vielmehr: Preis und Wert eines Kunstwerkes haben gar nichts miteinander zu tun. Der Wert ist eine Werk-immanente Kategorie, die über die oben definierten Qualitätskriterien zu bestimmen ist. Der Preis ist von diesem Wert fast völlig entkoppelt. Umso mehr, je bekannter ein Künstler oder eine Künstlerin sind.
UM:Druck 2/2011