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30. November 2006 - Die Bewertung eines Kunstwerkes wird laut Dieter Ronte ausschließlich von Insidern vorgenommen, die dafür “eigene Codes und Sprachen” entwickelt haben. Wer diese Codes nicht beherrscht, kann auch den Bewertungsprozess nicht nachvollziehen und schon gar nicht daran teilnehmen. Der Direktor des Bonner Kunstmuseums wörtlich: „Die Insider wissen sich ein und derselben Wertsphäre verbunden. Je engagierter sie an den Wertbildungen der Sphäre beteiligt sind, desto subtiler können sie mit der Sphärengrammatik umgehen. Sie entwickeln eigene Codes und Sprachen, die nur den Insidern selbst vertraut sind. Dadurch schützt sich die Wertsphäre nach außen; der Sprachunkundige wird zum Banausen.“ (ArtInvestor S. 46)

Dass Ronte wie ein Hohepriester der Kunst auftritt, wird auch mit folgendem Argument deutlich: „Ohne Glaubwürdigkeit sind Kunstwerke nicht abzusetzen: Für den Käufer von Kunst tritt sie an die Stelle mangelnder eigener Urteilskraft. Im Kern geht es bei der Genese des ökonomischen Wertes von Kunst also um das Entstehen von Glaubwürdigkeit. Glaubwürdig wird Kunst in den Augen des Publikums aber erst, wenn die Kenner selbst an den Künstler und sein Werk glauben.“ (S. 20)

Eine durch und durch weihevolle Terminologie der „Sphärengrammatik“ und „Wertsphäre“, die in bester scholastischer Tradition tautologisch argumentiert wird: Glaubwürdigkeit entsteht, wenn Kenner an Künstler glauben. Dabei teilt Ronte die (Kunst-)Welt in zwei Klassen: Hier die Insider, die sich in ihren (höheren) „Sphären“ bewegen, da die Banausen und primitiven Käufer, die „mangels eigener Urteilskraft“ an die „Wertsphäre“ der Insider glauben müssen. Diese quasi-religiöse Weltanschauung versucht Ronte mit einem weiteren Argument zu objektivieren und der Kritik zu entziehen: “Der ökonomische Wert von Kunst ergibt sich als ein Konsens von Experten und Kunstkennern, der nicht diktiert werden kann und sich nur langsam aufbaut. ... das setzt dem manipulativen Spielraum von Insidern enge Grenzen” (S. 20)

Tatsächlich sind Insider aus Rontes Perspektive unfehlbar, wie er anhand von Rembrandts gefeiertem Bild „Mann mit dem Goldhelm“ darlegt, denn dieses Bild „wurde praktisch wertlos, als sich die Meinung durchsetzte, dass dieses Meisterwerk nicht von Rembrandt selbst stamme. Seither ist die Glaubwürdigkeit des Bildes ramponiert“ (S. 45). Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Die Glaubwürdigkeit des Bildes ist ramponiert, nicht etwa die Glaubwürdigkeit der Experten und Insider, die Jahre lang einem Irrglauben aufgesessen sind und diesen Irrglauben auch eifrigst verbreitet haben.

Es soll hier aber kein Glaubenskrieg entfacht, sondern nur skizziert werden, wie die Welt eines Insiders aussieht, der mit (Museums-)Macht im Kunstmarkt ausgestattet, durchaus gewichtigen Einfluss auf die Preisbildung hat. Wichtiger als die Glaubensfragen zu diskutieren ist es zu verstehen, was Ronte meint, wenn er vom „ökonomischen Wert“ der Kunst spricht. Er intendiert nämlich, dass der durch Glaubwürdigkeit induzierte ökonomische Wert ident sei mit dem künstlerischen Wert des jeweiligen Werkes. In dieser Vermischung von zwei völlig unterschiedlichen Wertesystemen liegt die Hauptursache für die von vielen Laien aber auch Sammlern als intransparent empfundenen Gesetze des Kunstmarkes.

Um den Kunstmarkt zu vestehen, muss man den Begriff “Bewertung” analysieren und differenzieren. Die Bewertung eines Gebrauchtwagens etwa führt nach allgemein üblichen Kriterien zu einem Preis, den in der Regel zwar Fachleute vorgeben, den Laien aber jederzeit nachvollziehen können. “Preisbildung” und “Bewertung” sind in diesem Falle Synonyme, d.h. der Preis bildet den Wert des Gebrauchtwagens ab. Preisbildung und Bewertung eines Kunstwerkes sind dagegen – auch wenn sie irrtümlich so wie bei Ronte meist synonym verwendet werden – zwei völlig unterschiedliche Prozesse: Der Wert eines Kunstwerkes wird durch den Schöpfungsprozess des Künstlers hervorgebracht, dieser Wert an sich kann sich auch nicht ändern. Ändern kann sich nur der Preis für jedes Kunstwerk, das heißt, ändern kann sich nur der Wert für den Käufer. Und dabei spielt der Geschmack der Zeit, d.h. die gerade herrschende Mode im Kunstmarkt, eine wesentlich größere Rolle als das Werk an sich.

Anders gesagt: Aus der primären künstlerischen Wertschöpfung entwickelt sich eine sekundäre ökonomische Wertschöpfungskette, sofern der Künstler den Markteintritt geschafft und einen breiten Zugang zum Markt gefunden hat. Preis und Wert des Kunstwerkes sind dabei völlig unterschiedliche Kategorien, deshalb wäre es richtig, im ökonomischen Kontext von der “Preisbildung” der Kunstwerke anstatt von deren “Bewertung” zu sprechen. Die Marketmaker investieren sehr viel Geld in Marketing-Aktivitäten wie Publikationen, Ausstellungen, Biennalen und Kunstmessen. Dazu zählen auch die Museumsdirektoren, die sich gerne als Markt-unabhängige, übergeordnete Instanzen sehen, in Wahrheit aber sehr viel Kapital (nicht nur Geld, sondern auch Ausstellungszeiten) bewegen und damit unmittelbaren Einfluss auf den Preislevel eines Künstlers ausüben, denn jene Künstler, die in diesen Kreislauf nicht aufgenommen werden, müssen sich mit einem deutlich bescheiderenen Preisniveau begnügen. Somit ist das Marketing für die Bewertung eines Kunstwerkes zwar unerheblich, für die Preisbildung jedoch wichtiger als in jedem anderen Markt.

Alle Zitate stammen aus: ArtInvestor. Handbuch für Kunst und Investment, 2002, FinanzBuch Verlag, München

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