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29. November 2014 – Dieser Essay war ursprünglich als vorletztes Kaptitel der KUNSTMARKT-FORMEL geplant. Als vorbereitender Exkurs für das Kapitel „Was ist Kunst? Die definitive Antwort“ Aus Platzgründen und auch, weil es nicht notwendig Teil des Buches sein musste, habe ich es gestrichen, möchte es aber an der Stelle zugänglich machen.

 

 

Eine einzige Ausgabe der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ vom Freitag, 29. November 2013) liefert dafür zahlreiche, scheinbar zufällig zusammen gewürfelte Beispiele. Allerdings nur scheinbar zufällig, denn Redaktionen wählen ihre Inhalte nicht nach dem Zufallsprinzip, sondern nach klar definierten redaktionellen Richtlinien und allgemeinen, aber ungeschriebenen Gesetzen der Medienindustrie. So sind diese Artikel in ihrer Gesamtheit äußerst aufschlussreich für den Stellenwert der Kunst in unserer Gesellschaft.

 

Mäzene und Schnorrer

„Stellen Sie sich vor, Sie hätten Leonardo de Vinci fördern können“ - mit diesem Slogan wirbt der Stifterverband um Spenden. Allerdings sieht der „Förderer von Wissenschaft, Forschung und Bildung“ da Vinci mehr als Erfinder denn als Künstler. Weniger Kunst und mehr Geld will auch der Inserent folgender Anzeige: „Investitionen in Kunst. Komplett erfasster und dokumentierter Künstlernachlass eines bedeutenden CH-Künstlers.“ Der Künstler ist für diesen Deal offenbar so unbedeutend, dass der Anbieter nicht einmal seinen Namen nennt. Er will den Gesamtnachlass (1800 Originale) um CHF 6,5 Mio, also im Schnitt um 3600 Franken pro Werk an den Mann bringen. Für einen namenlosen Künstler optimistische Preiserwartungen.

 

Es gibt aber auch noch Menschen, die den Spruch beherzigen: geben ist seliger denn nehmen. „Die Mäzene geben Millionen. Dafür bekommen sie etwas Ruhm und Dank – und wertvolle Kontakte“. Ein ganzseitiger Artikel in der Rubrik „Menschen und Wirtschaft“ porträtiert drei mittelständische Unternehmer, die regionale Fußballvereine fördern. Überraschend, dass in dem Beitrag die Sponsoren konsequent als „Mäzene“ tituliert werden. Mäzene sind historisch betrachtet uneigennützige Förderer der Künste. Im Sport-Sponsoring sind Gegenleistungen aber nicht nur erwünscht, sondern müssen sogar nachgewiesen werden, damit das Finanzamt die Ausgaben anerkennt. Immerhin ist einer der genannten nicht nur dem Sport, sondern auch der Kunst verbunden: „Burckhard Kramer ist Vorstandsmitglied, Mäzen und unausgesprochener Boss des SC Wiedenbrück. … Wiedenbrück beschenkt er auch als Kunstmäzen. Siebzig Skulpturen zieren die Altstadt.“

 

Graffiti als Schmiereien?

Für internationale Aufregung sorgt ein kanadischer Popstar in Australien, folglich widmet ihm auch die führende deutsche Qualitätszeitung einen Bericht, inklusive Foto circa – oder wie der Duden empfiehlt: zirka – eine Sechstel-Seite (die FAZ erscheint im nordischen Format B3). Der Umfang eines Artikels ist nicht nebensächlich, denn es ist eine redaktionelle Wertung, ob eine Story über eine Seite ausgewalzt oder nebenbei in einer Kurzmeldung erwähnt wird, oder aber gar nicht vorkommt.

 

In der Rubrik „Deutschland und die Welt“ berichtet die FAZ: „Justin Bieber schlägt weiter über die Stränge. Nach Bordell-Eskapaden in Rio de Janeiro und verwüsteten Hotelzimmern in Buenos Aires hat der Neunzehnjährige jetzt auch den Bürgermeister des australischen Ortes Gold Coast in Rage gebracht. Bieber sprayte am frühen Mittwochmorgen nach einem Auftritt bei seiner 'Believe'-Tour nicht nur Fratzen in Neonfarben an die Wand eines Hotels, sondern schlug auch das Angebot von Bürgermeister Tom Tate aus, die Schmiereien mit eigens bereitgestellten Anti-Graffiti-Farben zu überstreichen.“

 

FAZ Bieberkunst

Will der Bürgermeister „des australischen Ortes“ - immerhin die sechstgrößte Stadt des Landes – als kulturelle Dumpfbacke in die Geschichte eingehen, oder nutzt er die einmalige Chance, im Fahrwasser eines Weltstars Aufmerksamkeit zu erlangen? Wohl das Letztere, ein klassischer PR-Gag, wie das Alternativ-Angebot des Bürgermeisters nahe legt: "Just come and clean it up and we'll be happy with you. Alternatively come and sing at our mayoral Christmas carols on 7 December for an hour and I'll let you go", zitiert BBC Tom Tate.

 

Dass man Graffiti nicht einfach als „Schmierereien“ abqualifizieren kann, hat sich wohl schon bis an die Ostküste Australiens durchgesprochen. Doch wer weiß? Diese Meinung ist ja noch nicht einmal im Zentrum Europas, zumindest nicht in der Redaktion der FAZ angekommen, die im zitierten Beitrag den Ausdruck „Schmierereien“ bezeichnendner Weise nicht unter Anführungszeichen setzt. In den meisten Weltstädten sind Graffiti prägender Teil des Stadtbildes, die meisten Sprayer sehen sich eher als Aktivisten denn als Künstler, manche frönen bloß ihrem Hobby, andere treten mit subversiven Ideen gegen den grauen Alltag an.

 

Subversive Gedanken hatte Justin Bieber sicher nicht, als er die Erlaubnis des Hoteldirektors für seine Sprayaktion einholte. Das Wandbild mit lustigen, bunten Köpfen - „ Fratzen“ laut FAZ - ist keine Kunst, aber trotzdem ist es umgehend zur Ikone geworden. Ein Super-Promi wie Justin Bieber kann nicht einfach unbemerkt in einer Nacht und Nebel-Aktion fremde Wände besprühen. Der Bürgermeister hat mit dem inszenierten Konflikt einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass die ganze Welt diese Bilder zu sehen bekam. Wie der „Konflikt“ gelöst wurde, darüber sucht man vergeblich nach Berichten. Die inszenierte Aufregung war nicht mehr als ein Strohfeuer, aber eben doch ein Feuer, das einen Tag lang medial aufflackerte. Rund um den Globus! Der Hotel-Direktor hat mutig angekündigt, Biebers Bilder nicht entfernen zu lassen und darf sich (gemeinsam mit dem Bürgermeister) über die kostenlose Publicity für sein Hotel und die Gold Coast freuen.

 

Zweitberuf Künstlerin

Nicht ganz so berühmt, aber mit je fünf Medaillen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften eine der erfolgreichsten deutschen Skilangläuferinnen, ist Claudia Nystad. Ihrem Comeback widmet die FAZ eine Drittel-Seite im Sportteil. Illustriert ist der Artikel mit einem Foto der attraktiven Sportlerin, die entspannt neben einem expressiven Gemälde sitzt. Die Comeback-Strapazen hätte die 35-jährige nicht nötig gehabt, meint die FAZ: „Sie hat im Juli 2013 ihr Studium der Wirtschaftsinformatik mit dem Bachelor abgeschlossen, sie hätte sofort anfangen können, zu arbeiten. Sie hat die Malerei … Aber genau diese Sicherheit, auch im ganz normalen Leben ohne Probleme Fuß zu fassen, hat sie in ihrer Comeback-Entscheidung bestärkt. Denn eines hat ihr weder das Studium noch die Malerei bieten können: 'Die ganze Bandbreite der Emotionen, das ständige Auf und Ab.' … Das Studium sichert ihre Zukunft, die Malerei ist für sie Ventil und Ausgleich, aber der Langlauf, 'das ist meine wahre Leidenschaft...'“

FAZ NystadClaudia

Sport als „wahre Leidenschaft“, Kunst als „Ausgleich“ - ich stelle mal die These in den Raum, dass eine Künstlerin, die in ihrer Freizeit gerne Langlaufen geht, ähnliche Emotionen empfindet, aber in umgekehrter Reihenfolge. So finden wir in der „wahren Leidenschaft“ ein wesentliches Kriterium auf die Frage „Was ist Kunst?“, aber eben kein zureichendes Kriterium, denn es könnte ja auch Sport sein.

Auf der Website von Nystad kann man eine Auswahl ihrer Gemälde sehen. Die Akte und Porträts sind zwar noch etwas glatt und lieblich, beweisen aber, dass die Athletin aus eigener Erfahrung ganz genau weiß, wo jeder einzelne Muskel sitzt, welche Sehnen sie zusammenhalten und wie sie vom Knochengerüst getragen werden. Ein Wissen, das man in unbeholfenen Aktzeichnungen vieler junger Absolventen der Kunstakademien heute vermisst, weil sie dort nur gelernt haben, wie man mit den billigsten Mitteln zu schnellen Ergebnissen kommt. Mühsames Anataomie-Studium wird da nicht mehr als Voraussetzung für das freie Zeichnen von Akten gesehen. Insofern steht Nystad für eine wachsende Anzahl von Künstlern mit Potenzial, die den Professionalismus, den sie sich in ihrem ersten Beruf angeeignet haben, auch im zweiten Karriereweg nicht außer Augen verlieren.

 

Stellenwert von Auktionen

Nicht direkt mit Kunst und nur am Rande mit Sport hat der Artikel „Das Eine-Million-Dollar-Auto“ zu tun. Es geht um eine Auktion. Das Thema gehört aber in dieses Buch, weil die Regeln der Kunstauktionen keine spezifischen Regeln des Kunstmarktes sind, sondern allgemeine Regeln des Auktionsmarktes. Nicht jedes Kunstwerk wird zur „Auktionsware“, genauso wenig wie jedes Auto für eine Auktion geeignet ist. Aber immerhin ist das Potenzial eines Kunstwerkes in einer Auktion zu landen um ein Vielfaches höher als bei einem Auto, das mit fast 100prozentiger Sicherheit auf einem Schrottplatz endet.

 

„Das Rennauto, in dem Michael Schumacher den ersten seiner ingesamt sieben Formel-1-Weltmeistertitel gewonnnen hat, wird versteigert. … Der erwartete Preis liegt angesichts der Rekordwerte, die Oldtimer in jüngster Zeit erzielt haben, bei einer Million Dollar. … Unrealistisch ist das geforderte Mindestgebot (600.000 Pfund) aber nicht … So wurde erst im Juli deses Jahres … ein Mercedes-Benz W196 ('Silberpfeil') aus dem Jahr 1954, mit dem Juan Manuel Fangio zum Sieg auf dem Nürburgring fuhr, vom Auktionshaus Bonhams für 19,6 Millionen Pfund versteigert, umgetrechnet 23,4 Millionen Euro. “ Angesichts dieser Zahlen ist das erzielte Ergebnis von 617.500 Pfund (rund 744.000 Euro), also nur knapp über dem Schätzpreis, sicher für viele Schumacher-Fans eine Enttäuschung. Das bislang teuerste Auto der Welt ist ein Ferrari und sogar ein straßentauglicher Wagen. Der Autosammler Paul Parpadello verkaufte einen 250 GTO Baujahr 1963 um 52 Millionen Dollar (rund 38 Millionen Euro). Der Kaufpreis wurde von mehreren unabhängigen Händlern bestätigt.

 

Zwei weitere Auktionsergebnisse kommentiert die FAZ in der vorliegenden Ausgabe. In dem Artikel „Wir kaufen uns einen Dino“ - die Headline ist wahrscheinlich der Rubrik „Deutschland und die Welt“ geschuldet – erfährt der Leser, dass ein in Wyoming ausgegrabenes Skelett eines 17 Meter langen und 4 Meter hohen Diplodocus im südenglischen Billinghurst für 480.000 Euro zugeschlagen wurde. „Nach Informationen des Natural History Museum in London sind auf der ganzen Welt nur sechs vergleichbare Skelette ausgestellt.“ Angesichts des Aufwands – vom Fund, den Ausgrabungen und der akribischen Rekonstruktion, sowie Dekonstruktion und dem Transport bis zur Auktion vergingen vier Jahre – ein magerer Preis.

 

Dieses Auktionsstück würde ganz gut in das Œuvre von Damien Hirst passen. Wäre dasselbe Präparat in seiner Factory zusammengesetzt worden anstatt von Paläontolgen, so hätte es bei einer Auktion (natürlich nicht in Billinghurst, sondern in den einschlägigen Häusern in London) mindestens den hundertfachen Preis erzielt. Der Auktionator Errol Fuller hat es offenbar nicht geschafft, die „richtigen“ Zielgruppen für dieses Objekt anzusprechen.

Vielleicht wäre es auch besser gewesen, den Diplodocus in Amerika zu belassen um ihn dort zu versteigern, denn „Das älteste Buch Nordamerikas ist jetzt auch das teuerste: Das 'Bay Psalm Book' von 1640 kostet 14,2 Millionen Dollar.“ Versteigert wurde das Stück, das „Tausende Druckfehler und dicke Tintenflecke“ enthält, wie die FAZ im Titel festhält, natürlich nicht in einer Provinzbibliothek, sondern bei Sothebey's in New York. Und den Zuschlag erhielt nicht irgend ein anonymer „Eigentümer von Einkaufszentren, deren Atrien groß genug sind, um eine Attraktion der besondern Art unterzubringen“ (so der Bericht über den Diplodocus), sondern „David Rubinstein, Mitbegründer der Carlyle Group, einer der weltweit größten privaten Beteiligungsgesellschaften“. Den hohen Preis führt die FAZ auf den Seltenheitswert zurück. „Nur elf Exemplare haben sich von diesem englischen Psalter erhalten“. Ein mattes Argument angesichts von sechs erhaltenen Diplodocus-Exemplaren weltweit.

 

Wie man aus einem „ausgesprochen unansehnlichen“ Werk Kapital schlägt, haben die Amerikaner offenbar immer schon gewusst. „Zuletzt wurde 1947 ein Exemplar der Erstausgabe verkauft, ebenfalls von Sothebey's und ebenfalls zu einem Weltrekordpreis, der damals bei 151000 Dollar lag. Cornelius Vanderbilt, einer der reichsten Männer der Vereinigten Staaten, zahlte 1878 für sein Exemplar 1200 Dollar – was als phantastische Summe galt.“

Gelten diesseits und jenseits des Atlantiks unterschiedliche Wertmaßstäbe oder nur unterschiedliche Preisgesetze? Nur ein Vergleich: am 21.5.12 wurde bei Ketterer in München eine Luther-Bibel versteigert. Die Ausgabe wurde zwar postum 1547 gedruckt (aber immer noch 93 Jahre vor dem Bay Psalm Book), in einem prächtigen Einband und mit 128 großen Textholzschnitten von Lucas Cranach d.J. illustriert. Der Zuschlag erfolgte – man wagt es kaum den Betrag hinzuschreiben – bei schlappen 34800 Euro (inklusive 20% Aufgeld). Damit wurde nicht einmal der Schätzpreis von 40000 Euro erzielt!

Man wird Ketterer nicht als unbedeutenden Auktionator in einer deutschen Provinzstadt abstempeln können, um dieses Ergebnis zu erklären. Ein Auktionator in München muss genauso wie Sotheby´s in New York seine Kataloge weltweit verschicken, um potenzielle Zielgruppen zu erreichen. Ebenso kann der Mythos des Objektes nicht maßgeblich für die Preisbildung verantwortlich sein: hier Luthers Übersetzung, dort die „schmutzigen Hände des Schmiedes, der als Drucker einsprang“. Von der technischen Qualität, dem Erhaltungszustand und inhaltlichen Relevanz der beiden Bücher ganz zu schweigen. Alle diese Aspekte sind relevant für anregende Betrachtungen im Feuilleton, aber völlig irrelevant für die Preisbildung.

 

Relevant für die Preisbildung in einer Auktion ist einzig und allein die Frage, wer gegen wen in den Ring steigt. Das sind bei einer Luther-Bibel vielleicht ein Pastor aus Wittenberg, ein Studienrat aus Eisleben und die Eigentümerin eines Wormser Familienbetriebes in fünfter Generation. Das war beim Bay Psalm Book mit Sicherheit eine „der weltweit größten privaten Beteiligungsgesellschaften“ mit Headquarters in Washington D.C. und möglicherweise (reine Spekulation aber nicht unwahrscheinlich) die in Boston/Massachusetts ansässige Bain Capital, deren Gründer Mitt Romney zuletzt als Präsidentschaftskandidat der Republikaner weltweit für Schlagzeilen sorgte. Die Carlyle Group verwaltet aktuell 185 Milliarden Dollar, Bain Capital nach eigenen Angaben 70 Milliarden Dollar.

 

14 Millionen sind 0,02 Prozent von 70 Milliarden und gerade mal 0,0075 Prozent von 185 Milliarden. Finanziell betrachtet ist damit evident, dass sich der Käufer des Psalters nicht besonders anstrengen und sicher nicht verschulden musste. Moralisch betrachtet stellt sich die Frage, ob der Käufer noch auf den Fundamenten der jüdisch-christlichen Tradition steht. Die FAZ schreibt: „Indem die Gemeinde das Psamelmenbuch zu Geld macht, das in die karitative Arbeit fließen soll, zeigt sie, dass ihr die Treue zur biblischen Botschaft wichtiger ist als Eleganz und Poesie.“ Doch weder Altes, noch Neues Testament verlangen 0,007 Prozent für die Armen, sondern den Zehent! „Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel und lasst das Wichtigste im Gesetz außer Acht: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue. Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen.“ (Matthäus 23,23)

 

Auktionen haben, unabhängig von den Objekten der Versteigerungen, hohe emotionale und mediale Bedeutung. Die Bieter können anonym bleiben oder in einem öffentlichen Kampf ihre kapitale Potenz zur Schau stellen. Der Stellenwert von Auktionen ist für Wirtschaft und Gesellschaft nicht geringer als für die Kunst. Das zeigen Umfang und Ressort-Zuordnung der zitierten FAZ-Artikel. Das Psalmbuch bekam im Feuilleton eine halbe Seite, der Dinosaurier schaffte es in der Chronik auf eine Drittelseite, wovon wiederum zwei Drittel ein beeindruckendes Foto einnimmt. Und der Bericht über den Schumacher-Boliden findet sich auf einer Achtel-Seite im Wirtschaftsressort, so wie auch der Artikel „Wem gehört der Bilderschatz?“ der sich über zwei Drittel der Folgeseite erstreckt.

 

Provenienz und Restitution

Die bereits Anfang November öffentlich gewordene, aber schon Anfang 2012 beschlagnahmte Sammlung von Cornelius Gurlitt wird von der FAZ am 29.11.2013 mit Hintergrundinfos über die rechtliche Problematik neu thematisiert: „Das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum ist das erste, das Gemälde aus dem Kunstfund in der Wohnung von Cornelius Gurlitt zurückverlangt. Doch der Weg dahin ist schwierig, die Rechslage verworren. … nicht zuletzt, weil Herausgabeansprüche im deutschen Recht seit einer Novelle im Jahr 2002 nach 30 Jahren verjähren. … Die Herausgabe der Werke an ihre meist jüdischen Eigentümer oder ihre Erben wird durch die Verjährung nun genauso verhindert, als handele es sich um eine x-beliebige vergessene Leigabe aus einer Bücherei. Das steht im krassen Widerspruch zur Washingtoner Erklärung aus dem Jahr 1998. … Die Rechtslage finden viele unbefriedigend, nicht zuletzt durch den Hinweis, die Verjährung sei ein typisch deutsches Phänomen. Andere Länder geben dem Rechtsfrieden weniger und den Opfern mehr Gewicht. Doch Juristen wären keine Juristen, würden sie nicht – mit Hilfe des Gesetzeswortlauts und einem natürlichen Drang nach Rechtsgestaltung – nach Schlupflöchern suchen. Dabei kommt Gedankenakrobatik am Hochreck heraus, die im Falle eines Falles vor Gericht den entscheidenden Ausschlag geben könnte. Nach Auffassung von EBS-Professor Matthias Weller hat die Beschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft im Februar 2012 dem Fall eine bedeutende Wende gegeben. Schließlich hätten damals die Besitzverhältnisse gewechselt, die Verjährung begann wieder von vorn.“

 

Die von der FAZ zitierte Washingtoner Erklärung, ein internationales Reglement, wonach sich 44 Staaten verpflichten für das Auffinden und die Rückgabe von Raubkunst zu sorgen, wurde 1998 unterzeichnetet. Anlassfall waren zwei Bilder von Egon Schiele, die als Leihgabe des Wiener Leopold Museums im Museum of Modern Art (MoMa) in New York ausgestellt wurden. Rudolf Leopold erwarb diese in den 1960er Jahren. „Gutgläubiger“ Kauf schützt den Käufer nach gängiger europäischer Rechtsprechung. In den USA gelten aber andere Gesetze, so wurden beide Gemälde während der MoMa-Ausstellung beschlagnahmt. Das erste Bild (Tote Stadt) wurde 1999 an das Leopold Museum retourniert, weil die Kläger nicht die rechtmäßigen Erben waren. Das Verfahren über das zweite Werk (Bildnis Wally) – ein Schlüsselwerk für die Sammlung Leopold - zog sich über ein Jahrzehnt. Erst im Juli 2010 wurde ein Vergleich geschlossen, der den Erben 19 Millionen Dollar zusicherte. Der Sammler und Museumsgründer hat den Vergleich nicht mehr erlebt, er verstarb ein paar Wochen davor.

 

Die Republik Österreich hat auf diesen Fall mit einem neuen Kunstrückgabegesetz reagiert. Verjährung ist seither kein Thema mehr, der Staat hat sich damit verpflichtet, auf Rückforderungen von Kunstwerken, die in der Zeit des Nationalsozialismus enteignet oder unter Druck verkauft wurden, weniger bürokratisch zu reagieren. Auch nach dem Krieg für Erben abschlägig behandelte Verfahren können damit neu aufgerollt werden. Dies gilt aber nur für Werke, die sich in staatlichen Museen befinden. Das als Privatstiftung geführte Leopold Museum, sowie Privatsammler sind davon nicht betroffen.

 

Markt & Strategie

Obwohl der Artikel „Wem gehört der Bilderschatz?“ unter der Rubrik „Markt & Strategie“ erschienen ist, liefert die FAZ an der Stelle keine Antworten auf die Fragen, was der Fall Gurlitt für den Kunstmarkt bedeutet und welche Strategie Sammler daraus ableiten sollen. So will ich das hier nachholen.

Zur Erinnerung: Cornelius Gurlitt lebte mehrere Jahrzehnte nur davon, dass er hin und wieder Werke seiner Kunstsammlung über Auktionshäuer versteigern ließ. Die Sammlung erbte er von seinem Vater Hildebrand Gurlitt (1895–1956), der bis 1933 Leiter des Kunstvereins Hamburg war. Danach machte er sich als Kunsthändler selbstständig und arrangierte sich mit den Nazis, in deren Auftrag er sogenannte entartete Kunst international verhöckerte und sich viele dieser Werke selbst behielt. Nach einem Entnazifizierungsverfahren konnte Gurlitt 1948 die Leitung des Kunstvereins in Düsseldorf übernehmen. Er starb 1956 an den Folgen eines Autounfalls, seine Gattin erklärte danach, der Großteil der Sammlung sei in den Kriegswirren in Dresden verbrannt. So lebte sein Sohn Cornelius über Jahrzehnte unauffällig bis die Zollfahndung wegen ein paar tausend Euro Bargeld beim Grenzübertritt von der Schweiz nach Deutschland den Fall ins Rollen brachte.

 

Die Medienlawine, die nach Bekanntwerden der Sammlung losgetreten wurde, hat tendenziös Cornelius Gurlitt zum Kriminellen gestempelt. Ein paar Wochen später wurden die Berichte wieder sachlicher. Der zitierte FAZ-Beitrag zeigt die rechtliche Problematik von allen Seiten auf. Damit wird deutlich, dass die Provenienz-Frage nicht nur bei Raubkunst von zentraler Bedeutung ist, sondern grundsätzlich bei allen Kunstwerken, die im Sekundärmarkt angeboten werden. Der Verkäufer ist womöglich nicht immer der rechtmäßige Eigentümer. Beim Wechsel der Besitzer sind Forderungen ehemaliger Eigentümer trotz Verjährung niemals auszuschließen. Cornelius Gurlitt war sich dieser Problematik offenbar bewusst. Im Vorfeld einer seiner letzten Transaktionen im Sommer 2011, der Versteigerung der „Löwenbändiger“ von Max Beckmann im Kölner Auktionshaus Lempertz, einigte er sich mit den Erben von Alfred Flechtheim und teilte mit ihnen den Erlös von 864.000 Euro.

 

Neben der rechtlichen Problematik bringt uns die sogenannte entartete Kunst auch auf die Spur, warum die simple Frage „Was ist Kunst?“ heute gar nicht oder nur mittels atemberaubender „Gedankenakrobatik am Hochreck“ beantwortet wird. Kunstbanausen (Copyright Dieter Ronte) sind mittlerweile intelligent genug, ihre Meinungen nicht zu äußern, weil sie Angst haben, von den zeitgenössischen Experten oder spätestens von der Geschichte eines Besseren belehrt zu werden. Denn zumindest dieses Wissen ist heute Allgemeingut: die „entartete Kunst“ gehört seit Ende des 2. Weltkrieges in den Kanon der wichtigsten Kunstwerke des 20. Jahrhunderts. Wer heute mit „Kunst hassen“ einem konkreten Werk oder Künstler gegenüber seinen Aversionen Ausdruck verleiht, muss Angst haben, damit als Rechtsaußen abgestempelt zu werden oder von der faktischen Macht der Experten oder des Marktes blamiert zu werden.

 

Die Strategie für Sammler kann demnach nur heißen: eine Expertise ist nie genug. Neben der Echtheits-Expertisen, die kunsthistorische und techische Aspekte abdecken müssen, sollte auch die Provenienz möglichst lückenlos nachgewiesen werden. Wer im Primärmarkt kauft, ist damit immer besser dran als Käufer im Sekundärmarkt. Das heißt nicht, dass man nur bei zeitgenössischer Kunst auf der sicheren Seite ist. Häufig werden von Kunsthändlern ganze Nachlässe von zu Lebzeiten weniger bekannten Künstlern aufgekauft und auch gewissenhaft aufgearbeitet, bevor sie auf den Markt gebracht werden. Angebote wie das eingangs zitierte sind dabei mit Vorsicht zu genießen: „Komplett erfasster und dokumentierter Künstlernachlass eines bedeutenden CH-Künstlers.“

 

Museen und Sammler

Zwei „Entartete“, Dix und Beckmann zeigt die Kunsthalle Mannheim in der Ausstellung „Mythos Welt“, was sie im Veranstaltungskalender der FAZ annonciert. Über eineinhalb Seiten werden hier Ausstellungen von Aachen bis Zürich angekündigt, natürlich nur von großen Museen und Kunstvereinen aus dem DACH-Raum und den Welthauptstädten der Kunst: Paris, London, New York, Los Angeles und Moskau. In der Liste finden sich auch zahlreiche Sammler-Museen, wie die Stiftung Olbricht, das Museum Frieder Burda oder das Essl Museum. Markant spiegelt die Übersicht auch die Bedeutung privater Sammlungen, die in Museen gezeigt werden: insgesamt 12 Museen haben Privatsammlungen im Programm. Dazu kommt die Ausstellung „Alfred Flechtheim.com. Kunsthändler der Avantgarde“, die acht mal aufscheint. Auf der Website http://alfredflechtheim.com/ ist zu erfahren, dass sich sogar 15 Museen mit Ausstellungen an der Aufarbeitung der Geschichte von Alfred Flechtheim beteiligen. Der jüdische Kunsthändler musste 1933 vor den Nazis nach London fliehen, seine Galerien wurden liquidiert oder arisiert. Erst 2012 und 2013 kam es zu ersten Entschädigungen bzw. Restitutionen an die Erben!

 

Historisch bedingt gingen nur wenige Werke von Künstlerinnen durch die Hände des Sammlers und Galeristen Flechtheim. Doch bis heute spielen Frauen in der Kunstszene nur die zweite Geige – wenn sie denn überhaupt einen Platz im Orchester bekommen. Im FAZ-Veranstaltungskalender werden insgesamt 306 Künstler namentlich genannt, davon sind 64 Frauen, wobei Käthe Kollwitz dreimal aufscheint. Eher noch finden Frauen Platz in Ausstellungen, wenn sie von Männerhand geschaffen wurden: „Otto Dix. Dirnen Weiber und Madonnen“ oder „Thomas Schütte. Frauen“. Zumindest die Ausstellung „Künstlerin sein!“ im Museum Giersch vereint das Schaffen von drei Künstlerinnen: Ottilie W. Roederstein, Emy Roeder und Maria von Heider-Schweinitz. Das Frauenmuseum Hittisau steht mit „Ich bin dabei. Die Künstlerin A.M. Jehle“ in diesem Umfeld wie ein Leuchtturm auf verlorenem Posten. Und das Frauenmuseum Bonn wird im Veranstaltungskalender der FAZ gar nicht erwähnt!

Die Macht des Faktischen scheint das Vorurteil zu bestätigen, das Georg Baselitz in einem Spiegel-Interview (Ausgabe 4 / 21.1.13) zum besten gab, wonach Frauen von Natur aus schlechtere Künstler seien. Baselitz kommt im Veranstaltungskalender vier mal vor: in Chemnitz, Davos, Dresden und Wien. Statistisch betrachtet bespielt allein Baselitz 1,3 Prozent aller Personalen, während alle Künstlerinnen zusammen nur 21 Prozent Ausstellungspräsenz aufweisen. Sogar Christo und Kabakow, die beide gemeinsam mit ihren Frauen im Team arbeiteten und arbeiten, sind nur als männliche Solitäre genannt. Affichiert wird auch der KunstHerbstDresden mit Gerhard Richter und Georg Baselitz. Zufall oder nicht, die beiden teuersten, lebenden Künstler Deutschlands stammen aus der Oberlausitz und konnten, obwohl, nein weil sie Flüchtlinge der DDR waren, steile Karrieren in Westdeutschland machen.

 

Künstler und -innen

Nur wer die gesellschaftspolitischen Entwicklungen nicht kennt oder bewusst ignoriert, kann wie Baselitz behaupten: „Frauen malen nicht so gut. Das ist ein Fakt.“ An den meisten Kunstakademien wurden Frauen erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts zugelassen; erstmals wurden an der Universität Zürich 1840 Frauen als Hörerinnen zugelassen, doch die Schweiz, Musterland der Demokratie, führte erst 1971 auf Bundesebene das Frauenwahlrecht ein; und die Wiener Philharmoniker konnten sich erst 1997 durchringen, Frauen in das Ensemble aufzunehmen. Bis heute haben es sieben Musikerinnen geschafft, die Männerphalanx des laut Le Monde de la musique besten Orchesters Europas zu durchbrechen.

„Die Schmerzensfrau, ihr Mann und ihr Nachleben“ betitelt die FAZ eine Ausstellungskritik, die sich aber nicht mit der Gender-Problematik beschäftigt. „Jeder für sich, nie ohne den anderen: Eine Pariser Ausstellung zeigt das Werk des Künstlerpaares Frida Kahlo und Diego Rivera“, streicht die FAZ im Untertitel einen markanten Unterschied zu jüngeren Künstlerpaaren hervor. So arbeiteten Christo und Jeanne-Claude oder Ilja und Emilia Kabakow immer gemeinsam an ihren Werken. Der Artikel lässt nicht unerwähnt, dass die Kahlo „schon Dutzende Male gewürdigt“ wurde und kann sich einen Seitenhieb auf eine kuriose Wahlwerbung nicht verkneifen: „kurz vor der Bundestagswahl hatte die Klatsch-Zeitschrift 'Gala' die Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht zum Fotoshooting geladen – als Frida Kahlo.“ Damit setze sie „ihre Botschaft doch umgehend jenem Kitschverdacht aus, der Kahlo seit Jahren umweht“, kritisiert die FAZ.

 

In der 46 Seiten umfassenden Ausgabe der FAZ ist dies der einzige Artikel, der als klassische Ausstellungskritik betrachtet werden kann. Obwohl die FAZ zeigt, dass Kunst in allen Ressorts und somit in allen Bereichen unserer Gesellschaft angekommen ist, so ist die Dichte der kunstaffininen Themen dieser Ausgabe sicher nicht repräsentativ für eine durchschnittliche FAZ und schon gar nicht für eine durchschnittliche Tageszeitung. Durchaus typisch ist aber der Raum, der der Kunst im Feuilleton eingeräumt wird. Im 10-seitigen Feuilleton nimmt die Kahlo (Rivera bleibt in dem Beitrag im Hintergrund) inklusive Abbildung des für ihr Œuvre untypischen „Stillleben mit Papagei und Fahne“ gerade mal eine Drittel-Seite ein. Dazu kommen eine ganze Seite über „Snowdens Enthüllungen sind ein Erdbeben“, eine Seite über Schallplatten und Phono, eineinhalb Seiten Literatur, inklusive Nachruf auf den Verleger (und Kunstliebhaber!) Wolf Jobst Siedler, eine halbe Seite Musik-Kritik, diverse Kommentare („Rote Karte für Berlusconi“) und Artikel über Architektur, Kulinarik und über lebende und maschinelle Roboter in der Lagerlogistik von amazon. Dazu der erwähnte Beitrag über das Bay Psalm Book, der Veranstaltungskalender und Todesanzeigen. Nicht zuletzt zwei Seiten Medien inklusive TV-Programm.

 

Zählt man den Cartoon auf der letzten Seite und den Veranstaltungskalender dazu, dann gehören zwei von zehn Kultur-Seiten der bildenden Kunst. Berücksichtigt werden aber nur Ausstellungen mit internationaler Starbesetzung. Aber das ist kein spezifisches Gesetz des Kunstmarktes, sondern ein spezifisches Gesetz der Medienindustrie.

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