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21.7.2013 - Hans-Olaf Henkel, als Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) 1995-2000 Unterstützer der Euro-Einführung, ist zum Dissidenten geworden. Seit mehreren Jahren führt er seinen Kampf gegen den Einheitseuro. Der integre Überzeugungstäter wird dabei zum polemischen Glaubenskrieger und lässt leider allzu viele Fragen unbeantwortet.

 

Nach „Rettet unser Geld!“ (2010) hat Henkel nun eine weitere Kampfschrift zur Rettung Deutschlands und zur Abschaffung des Einheitseuro vorgelegt. Schon im Vorwort seines neuen Buches macht er seine Position klar: „Die Wahrheit ist, dass Europa nicht durch die Krise des Euro, sondern durch den Euro selbst bedroht ist. Wer an ihm festhalten will und sich gleichzeitig gegen seine Rettung wehrt, ist schizophren – aber diese Krankheit ist unter Politikern weit verbreitet.“ (S. 17)

 

„Die Eurolügner“, so der Titel des neuen Buches, nennt Henkel schonungslos beim Namen: Jean-Claude Juncker, Mario Draghi, Wolfgang Schäuble, Peer Steinbrück und natürlich „die Kanzlerin Gespaltene Zunge“, Angela Merkel. Europas Politiker lügen, so Henkel, und geben das, wie Jean-Claude Juncker, auch direkt oder indirekt zu. Und sie sind korrupt, wie „der wegen seiner Seriosität in Deutschland hochgeschätzte Ministerpräsident Spaniens, Mariano Rajoy“. Den Absatz über Korruptionsfälle in Spanien beschließt der Autor mit dem Hinweis: „Einen gerichtsnotorischen Rechtsbrecher wie Silvio Berlusconi muss man wohl nicht eigens erwähnen.“ (S. 37) Er tut es aber doch.

 

In der Auseinandersetzung mit den europäischen Politikern und Euro-Verfechtern führt Henkel das Schwert des Glaubenskriegers. Er stellt seine Gegner an den Pranger, bringt wenige sachliche Argument und erinnert in weiten Teilen seines Buches an einen Prediger:

 

„Zur allgegenwärtigen Euro-Lüge gehören auch die Rettungspakete.“ (S. 49)

„Die Stigmatisierung von Euro-Gegnern ist keine Erfindung unserer Zeit.“ (S. 90)

„Dass dieses Land (Griechenland) ein Opfer des Euro geworden ist, wird verschwiegen. Denn nur weil für den Euro so niedrige Zinsen verlangt wurden, ließen griechische Politiker sich verführen, riesige Kredite aufzunehmen.“ (S. 96)

„Wen die Euro-Schizophrenie einmal ergriffen hat, mit dem ist eine nüchterne Diskussion sinnlos.“ (S. 103)

„Dass die Einheitswährung auf einen deutschen Selbstausverkauf hinausläuft, gehört zu den vielen Denktabus des Deutschen Bundestags und der deutschen Medien.“ (S. 115)

Während das letzte Statement schon fast als empirisch-wissenschaftliche Beobachtung des nunmehrigen Honorarprofessors am Lehrstuhl Internationales Management der Universität Mannheim durchgehen kann, kann man die Beschreibung Griechenlands als „Opfer“, das der Verführung durch den Euro erlegen ist, nur als skurril bezeichnen. Zumal Griechenland gemeinsam mit den übrigen „Südländern“ (Portugal, Spanien, Italien, Zypern und Frankreich!) Deutschland angeblich ständig über den Tisch zieht. „Unser Land wird regelmäßig überstimmt, man kann auch sagen: zum Schweigen gebracht, weil jedes der 17 Mitglieder dasselbe Stimmgewicht hat wie Deutschland.“ (S. 203)

Zwar war „Angela Merkel, wie die Bundesbanker und die deutschen EZB-Mitarbeiter, gegen massenhafte Aufkäufe südeuropäischer Staatspapiere, die in Wahrheit Kredite an Staaten waren, die auf dem freien Markt keine mehr bekamen – längst sind sie, mit ihrer Zustimmung, etabliert.“ (S. 134) Es entspricht der Glaubenswahrheit Henkels, dass er daraus mit Pathos folgert: „Merkel fördert diese Selbstentmachtung – verheimlicht sie aber vor den Deutschen, ihrem eigenen Volk.“ (S. 135). Ein paar Seiten später spricht Henkel von „Selbstdemontage“ (S. 159) Deutschlands, das gegenüber den „Südländern“ zu jedem Kompromiss bereit sei, nur um die „Kunstwährung“ (S. 176) Euro zu retten.

 

In der Ursachenforschung des Professors, der Vorlesungen über Management in einer globalisierten Welt hält, bleibt aber die Rolle Amerikas und der Finanzindustrie völlig ausgespart. Fast völlig. Dem „Mythos USA“ widmet Henkel ganze eineinhalb Seiten, von insgesamt 267. Kritik wird dabei nicht einmal in einem Nebensatz laut: „Ein Äquivalent der Rettungspakete, die wir für Griechenland, Portugal oder Zypern geschnürt haben, gibt es in den Vereinigten Staaten nicht. … Mit anderen Worten: Obwohl die Amerikaner schon seit über 200 Jahren eine Nation sind, helfen sie einander nicht mit ihren Schulden aus. Wir aber tun das mit Griechenland und Co., obwohl wir keine Nation sind.“ Es ist nicht legitim, den Professor wegen dieser Einschätzung ins rechte Eck zu stellen. Aber es wird nachvollziehbar, woher solche Anschuldigungen kommen. Man fragt sich: hat der Weltbürger Henkel nicht bemerkt dass die US-Zentralbank FED lange vor der EZB begonnen hat, Schrottpapiere in großen Mengen aufzukaufen und mit Staatsanleihen die eigenen Schulden in noch größeren Mengen zu exportieren?

 

Im Kapitel „Die Zwei-Zonen-Lösung“, in dem Henkel seine Lösung, die Teilung der europäischen Einheitswährung in einen „Nord-Euro“ und „Südeuro“ erläutert, schreibt er: „Natürlich ist der Weg dorthin nicht einfach und bedarf gründlicher politischer und technischer Vorbereitung. Vor allem müssen Risiken, wie eine Verunsicherung der internationalen Finanzmärkte und der Sparer im Süden und eine Gefährdung der nördlichen Exportwirtschaft, begrenzt werden.“ (S. 224) Das war´s! Damit ist das Thema Finanzmarkt und Finanzindustrie abgehandelt!

 

Hans-Olaf Henkel stellt sich mit der Überbelichtung der politischen Fehlentscheidungen und der Unterbelichtung des Finanzmarktes nolens volens in die erste Reihe aller „fanatischen Euromantiker“ (S. 214), die seit Beginn der Finanzmarktkrise nur eine Maxime ihres Handelns kennen: Die Beruhigung der Finanzmärkte. Man könnte ein ganzes Buch mit Zitaten hochrangiger europäischer Politiker füllen, die seit Ausbruch der Finanzkrise ihrer Bevölkerung das Mantra von der Nicht-Regulierbarkeit und von der Notwendigkeit zur Beruhigung der Finanzmärkte vorbeten.

 

Mit „Nibelungentreue“ (S. 208) glaubt auch Henkel an den Euro, zwar nicht an einen, dafür aber an zwei. Er glaubt an den zweigeteilten Euro, weil damit die „Südländer“ die Währung nach Belieben abwerten können. Außerdem sei nur mit einer „Brandmauer“ zwischen den beiden Währungen die Stabilität des Nordeuro wieder herzustellen. Letztlich glaubt Henkel mit dieser Los-Lösung die Ersparnisse der Deutschen zu retten. Den dogmatischen Glauben an den Einheitseuro vergleicht Henkel mit dem mittelalterlichen Glauben an das „Dogma der Jungfrauengeburt“. (S. 153). Henkels naiver Glaube an die Zweiteilung der Eurozone erinnert dagegen an den Glauben, dass uns mit Ablasszahlungen unsere Schulden vergeben werden.

 

Dass Europas Politiker im Namen der „Rettung des Euro“ mit gespaltener Zunge reden, lügen, täuschen und gegen Abweichler in den eigenen Reihen intrigieren, das konnte Henkel anhand zahlreicher Beispiele belegen. Warum die Politiker so agieren und von welchen Interessen sie getrieben werden, diese Frage beantwortet Henkel nicht einmal andeutungsweise. Dass Henkel wichtige Fragen unbeantwortet lässt, muss ich an dieser Stelle korrigieren, denn die Wahrheit ist: die wesentlichen Fragen hat der ehemalige IBM-Manager und Industrie-Vertreter gar nicht gestellt.

  • Welche Rolle spielt die Finanzindustrie als (Mit-)Verursacher der Euro-Krise?

  • Wie konnte ein Dienstleistungssegment der Wirtschaft zur Finanzindustrie mutieren und völlig außer Kontrolle der Politik geraten?

  • Wie konnte die Realwirtschaft in Knebelhaft der Finanzindustrie (= Irrealwirtschaft?) geraten, die lieber mit hochspekulativen Finanz-“Produkten“ dealt anstatt der Realwirtschaft unrentable Kredite zur Verfügung zu stellen?

 

Hans-Olaf Henkel

Die Euro-Lügner

2013, Wilhelm Heyne Verlag

ISBN 978-3-453-20058-6

21. Juli 2013, Publiziert in "The Global Player" 28/29 2013

 

Weitere Beiträge zur Wirtschaftsethik siehe: www.ethos.at

 

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